.. title: Markt und Fürst
.. date: Sat, 31 Oct 2015 21:41:08 +0100
Nun hat es auch `den Chaos Computer Club erwischt `_. Nicht nackte weibliche Brüste, `Schimpfwörter `_, `das Angebot von Funktionalität, die Apple auch gerne anböte `_, sondern schwammige Ausreden über "Informationen, über das Hacken von Apples Betriebssystem" waren Auslöser, eine bequemere Abspielmöglichkeit für Mitschnitte unserer Congresse zu verbieten, als beispielsweise youtube oder Safari es wären (die ironischerweise die selben Filme abspielen können, ohne aus dem Store zu fliegen).
Die hochnäsige Selektionspolitik von Apple auf seinen Marktplätzen hat der Firma ja schon `eine eigene Wikipedia-Seite beschert `_ und noch immer gibt es `Apologeten `_, die Apple Narrenfreiheit auf ihrer Plattform zugestehen wollen. Ich will mich am juristischen Gekloppe gar nicht groß beteiligen, sondern ein paar Denkanstöße aufschreiben, bevor ich sie wieder vergesse.
Szene 1: Vor einiger Zeit gab es bei den traditionellen Straßenfesten eine Konsolidierung: Eine Event-GmbH übernahm Planung, Standanmeldung und Durchführung einer beträchtlichen Anzahl dieser Veranstaltungen. Würde man dem Betreiber zugestehen, nach Gutdünken NGO wie Greenpeace die Anmietung eines Standplatzes verbieten zu lassen?
Szene 2: Durch die Vermallung der Innenstädte ist der freie Zugang zu Angeboten der sozialen Grundbedarfsdeckung wie Kino, Buchhandlungen, der Post oder gar Zugängen zum ÖPNV in Konflikt mit Interessen der Betreiber solcher halböffentlichen Räume getreten. Kann der Betreiber der Mall nach Gutdünken Hausrecht durchsetzen und Einzelnen den Zugang zu den Angeboten verwehren?
Mehr noch: Kann und darf der Betreiber der Mall Einfluß auf Angebote und Auslagen der Geschäfte nehmen? Ist das Konzept des öffentlichen Raums eine sozialromantische Utopie des zwanzigsten Jahrhunderts? In wieweit sind die auf Immersion optimierten Portale und Digitalgut-Großmärkte als Digitalanalogie einer Mall zu vergleichen? Sind beim Betrieb durch Multinationale automatisch moralische Befindlichkeiten der Heimatländer eines Unternehmens maßgeblich?
Szene 3: Ein Zeitungsgroßhändler ist in einer investigativen Recherche einer Zeitung nicht so gut weggekommen und beschließt nun, den Verlag in seinen Verteilgebieten nicht mehr zu führen. Weder Verlag noch potentielle Zeitungsleser haben ein Anrecht auf Zustellung, oder? Meine Plattform, meine Regeln? Wenn ich groß genug bin, einem signifikaten Anteil der Benutzer meiner Plattform die dargebotenen Inhalte zu diktieren, kann ich ja nach Belieben die Realität formen, richtig? `Nein. `_
Keine einigermaßen funktionierende Wirtschaft kann es sich lange erlauben, bedeutende Marktplätze unreguliert zu lassen. Aus dem Grundrecht der Berufsfreiheit in Deutschland sind diverse Einschränkung für die Märkte abgeleitet worden, um gerade kleineren und aufsteigenden Betrieben den fairen Zugang in etablierten Marktplätzen zu ermöglichen und nicht wegelagernden Kleinstfürsten wachsenden Neulingen den Saft ausquetschen zu lassen. Wenn mehrere Großbetriebe aus den USA versuchen, in Deutschland großes Geschäft zu machen, werden sie sich wohl oder übel auch an lokalen Grundrechten orientieren müssen.
Es ist meine Hoffnung, daß horizontal so breit aufgestellte Krämerläden wie Apple, Google und Amazon, die durch Disruption alter Marktstrukturen großgeworden sind, nicht nach Belieben alle "Handelsbarrieren" abbauen dürfen. Gewiß, einige Regeln müssen im Lichte neuer technischer Entwicklungen neu ausgehandelt werden. Ein Großteil dieser Barrieren sind über Jahrhunderte ausgehandelt und absichtlich etabliert worden, um den schwächeren Einzelnen vor konzentrierter nicht-staatlicher Macht zu schützen. Die durch "Marktregeln" formalisierte moralische Werte sollten gesellschaftlich ausgehandelt werden, nicht global aufgewungen. Allen sozial oder wirtschaftlich wirkenden Teilnehmern sollte Teilhabe am Markt der Ideen und Produkte gewährt werden.