From 79b964d0ff7e06ac35cf04dbf50ae393c292cb12 Mon Sep 17 00:00:00 2001 From: presse Date: Sat, 18 Apr 2009 19:12:39 +0000 Subject: committing page revision 1 --- updates/2006/ptb-bestaetigt-nichteignung.md | 161 ++++++++++++++++++++++++++++ 1 file changed, 161 insertions(+) create mode 100644 updates/2006/ptb-bestaetigt-nichteignung.md diff --git a/updates/2006/ptb-bestaetigt-nichteignung.md b/updates/2006/ptb-bestaetigt-nichteignung.md new file mode 100644 index 00000000..33d6d5c4 --- /dev/null +++ b/updates/2006/ptb-bestaetigt-nichteignung.md @@ -0,0 +1,161 @@ +title: PTB bestätigt Nichteignung - Wahlcomputer grundsätzlich unsicher +date: 2006-11-13 00:00:00 +updated: 2009-04-18 19:12:39 +author: presse +tags: update + + +Der Chaos Computer Club (CCC) begrüsst die bei der Physikalisch- +Technischen Bundesanstalt (PTB) aufgekommenen grundsätzlichen Zweifel +an der Verwendbarkeit von Wahlcomputern. Die Grundlage der +Bauartzulassung für den Einsatz der Computer bei Wahlen ist damit als +hinfällig zu betrachten. + + + + +Noch im Oktober mochte der für die Zulassung der Wahlcomputer zuständige +Fachbereichsleiter der PTB, Dieter Richter, keine praktischen +Möglichkeiten zur Manipulation von Wahlcomputern sehen. Gegenüber der +Zeitschrift c't und der Nachrichtenagentur AP musste er nun allerdings +in einem Interview einräumen, dass Wahlcomputer grundsätzlich +manipulierbar sind. Damit bestätigte er entsprechende Ergebnisse des +CCC. + +Richter bekräftigte, dass die vom CCC nachgewiesenen Unsicherheiten und +Manipulationsmöglichkeiten praktisch anwendbare Szenarien sind, welche +die Sicherheit deutscher Wahlen real gefährden. "Es gibt bei diesem +Konzept keinen absoluten Schutz gegen Insider-Angriffe," sagte Richter. + +Solche Innentäter sind mit Abstand das wahrscheinlichste +Angriffsszenario. So wurde 2002 in Dachau aufgedeckt, dass mehrere +Kommunalwahlen von Mitgliedern der örtlichen CSU manipuliert wurden. +Ohne die Möglichkeit der nachträglichen Auszählung der Wahlzettel wäre +der Betrug nicht nachweisbar gewesen - eine Möglichkeit, die bei +Wahlcomputern nicht mehr gegeben ist. Der Wahlskandal von Dachau wäre +mit Nedap-Maschinen niemals aufgeflogen. + +Richter sagte zur bisherigen Haltung des Innenministeriums, dass die +Wahlcomputer hinreichend manipulationssicher seien: "Wir würden jetzt, +in dieser neuen Lage, dem Ministerium nicht mehr raten, die Erklärung +ohne Einschränkung abzugeben." + +Die Ansicht der PTB, dass erst durch die Publikation der Funktionsweise +der Wahlcomputer im Rahmen der CCC-Analyse eine "neue Situation" +entstanden sei, wirft allerdings ein erschreckendes Licht auf die +Sicherheitsphilosophie der Behörde. "Ob man nun in Zukunft grundsätzlich +und generell ausschließen muss, jemals wieder Elektronik bei Wahlen +einzusetzen, die nach dem Prinzip Security by Obscurity operiert, möchte +ich nicht abschließend beurteilen. Ich kann mir bestimmte Umstände +vorstellen, unter denen dies vorstellbar ist," sagte Richter. Welche +Umstände das sein könnten, ließ er bezeichnenderweise offen - als Bürger +möchte man sich das ungern ausmalen. Er räumte immerhin ein, dass +"'Security by Obscurity' aus IT-Sicherheitssicht nicht das Idealkonzept +ist." + +Es stellt sich nun die Frage, warum die Oberbürgermeisterwahl in Cottbus +im Oktober 2006 und die Bundestagswahl 2005 mit Wahlcomputern +stattfanden, deren Manipulierbarkeit jedem Fachmann offensichtlich und +klar ist. Für beide Wahlen sind Einsprüche wegen der Verwendung der +zweifelhaften Wahlcomputer anhängig. "Bisher gibt es keine Erkenntnisse +über Manipulationsversuche an Wahlgeräten in Deutschland," sagte Richter +gegenüber der c't. Angesichts der schwerwiegenden Mängel in den +Prüfmethoden der PTB bei der Bauartzulassung der Wahlcomputer ist nicht +zu erwarten, dass sie eine geschickte Manipulation tatsächlich erkennen +und aufdecken könnte. + +Richter betonte in dem Interview, dass trotz der technischen Mängel das +Gesamtpaket an Sicherheitsmaßnahmen eine manipulationsfreie Wahl +garantieren könne. Doch schon die Annahme von Richter, dass "die Geräte +sicher bei den Kommunen verwahrt" seien, zeugt von einer beängstigenden +Realitätsferne, wie die [Wahlbeobachtung des CCC in +Cottbus](/de/updates/2006/bericht-ob-wahl-cottbus) gezeigt hat. +[\[1\]](/de/updates/2006/bericht-ob-wahl-cottbus) Die sichere Verwahrung +der Wahlcomputer ist außerdem gar nicht zwingend vorgeschrieben, sondern +eine freiwillige Leistung der Kommunen, wie Richter ganz richtig +bemerkte. Angesichts der momentan stattfindenden Ausleihe hunderter +Wahlcomputer in die Niederlande kann von einer "durchgehend sicheren +Verwahrung" ohnehin nicht mehr die Rede sein. Das Bundesinnenministerium +wurde erst vom CCC über die Verbringung der Nedap-Computer ins Ausland +informiert, die in Eigenregie der Gemeinden stattfindet. + +Bezüglich der Abstrahlungen der Wahlcomputer gab Richter zu, dass nur +die allgemeine elektromagnetische Verträglichkeit getestet wurde. +Gezielte Tempest-Angriffe, mit denen es möglich ist, den Wahlvorgang +"abzuhören", wurden nicht erprobt. Als Begründung für diesen Umstand +sagte Richter, dass erste Messungen für "vernachlässigbar" und +"unkritisch" gehalten wurden. Dass noch aus 25 Metern Entfernung +zumindest bei einigen Geräteserien problemlos abgehört werden kann, +zeigten erst die [Ergebnisse des CCC. +\[2\]](http://www.youtube.com/watch?v=B05wPomCjEY) + +Die Frage danach, welche Bauartunterschiede zwischen den deutschen und +holländischen Computern bestehen, beantwortete der Experte +folgendermaßen: "Wir vermuten, haben aber keinen Beleg dafür, dass es +unterschiedliche Produktionsserien beim Hersteller gibt, und dass der +holländischen Initiative ältere, weniger gut geschirmte Geräte zur +Verfügung standen." Dass die PTB nicht einmal solch grundlegende +Informationen über die Wahlcomputer hat, zeigt einmal mehr, dass diese +wichtigen Funktionen der Demokratie nicht an irgendeinen +Apparate-Hersteller delegiert werden dürfen. + +Dass Nedap und die PTB sich erdreisten, die technischen Einzelheiten und +Prüfberichte der Wahlcomputer und ihrer Evaluierung geheimzuhalten, ist +ein grundlegender Verstoß gegen das Transparenzgebot für Wahlen. Richter +erklärte dazu unverblümt: "Prüfberichte sind nicht als Beschreibung +angelegt, wie die Prüfung durchgeführt wurde, um sie für Dritte +verständlich und nachvollziehbar zu machen, oder dass Außenstehende die +Qualität oder den Inhalt der Prüfung bewerten können." Hier offenbart +sich eine grundlegende Fehlkonstruktion, die im Hinblick auf die +Sicherheit freier Wahlen ein unhaltbarer Zustand ist. + +Richter beklagte in dem Interview die mangelnde Kooperation des Chaos +Computer Club, den er "diesbezüglich konsultiert" habe. Der CCC zeigt +sich von dieser Aussage überrascht, da bisher weder beim CCC noch bei +der holländischen Initiative "Wij vertrouwen stemcomputers niet" eine +offizielle Kooperationsanfrage eingegangen ist. Ein vom CCC initiiertes +informelles Treffen wurde seitens der PTB leider auf unbestimmte Zeit +verschoben. Nachdem der CCC mit seiner Analyse schon die Arbeit der PTB +erledigt hat, ist er natürlich auch weiterhin gern gesprächsbereit. Ziel +einer Kooperation kann jedoch nicht das Flicken von Löchern an einem +prinzipiell unsicheren System sein. Einzig eine grundsätzliche +Abschaffung der Wahlcomputer löst das Problem. + +Richter erkannte ganz richtig: "E-Voting - in welchen Formen auch immer +- ist nicht nur eine technische Frage, sondern auch eine Frage des +Vertrauens in das, was für den Wähler nicht mehr transparent +nachvollziehbar ist." Er führte dazu weiter aus: "Es reicht nicht, ein +von Spezialisten nachvollziehbares, sicheres technisches System zu +haben." Jedoch sind weder die Nachvollziehbarkeit noch die technische +Sicherheit der Computer gegeben, wie Richter zuvor selbst einräumen +musste. Der Chaos Computer Club fordert daher weiterhin die sofortige +Rücknahme der Bauartzulassung und gleichzeitig die endgültige +Abschaffung der rechtlichen Möglichkeit, Computer zur Stimmabgabe bei +Wahlen in Deutschland zuzulassen. + +Dass Deutschland mit Wahlcomputer-Problemen nicht alleine steht, zeigten +auch die Nachrichten der letzten Woche: Etwa die Hälfte der +wahlberechtigten US-Amerikaner haben ihre Stimme mit Wahlcomputern +abgegeben. Massive Zweifel an deren Sicherheit waren bereits vor der +Wahl öffentlich geworden. Das [vielgestaltige Versagen +\[3\]](http://news.google.com/news?ned=us&q=%22voting+machine%22+problem) +der Wahlcomputer bei den jüngsten Wahlen in den USA sollte eine +deutliche Warnung vor der massenhaften Einführung solcher Computer zur +Stimmabgabe in Deutschland sein. + +Die [Petition gegen Wahlcomputer \[4\]](/de/petition) , in der die +Abschaffung des § 35 Bundeswahlgesetz (Stimmabgabe mit Wahlgeräten) +gefordert wird, hat mittlerweile über 32.000 Mitzeichner. Gerade jetzt +zählt jede Stimme! + +Für weitere Fragen und Interviewwünsche steht das Presseteam des CCC +gerne zur Verfügung. Es ist per eMail an [presse\@ccc.de](presse@ccc.de) +zu erreichen. Telefonisch steht außerdem Florian Holzhauer, einer +unserer Sprecher, unter der Nummer 0157 738 242 67 zur Verfügung. + +- \[1\] + [http://www.ccc.de/updates/2006/bericht-ob-wahl-cottbus](/de/updates/2006/bericht-ob-wahl-cottbus) +- \[2\] +- \[3\] + +- \[4\] [http://www.ccc.de/petition](/de/petition) -- cgit v1.2.3