From 23f0e1561767dd8a396188e317bae5920d171ea8 Mon Sep 17 00:00:00 2001 From: erdgeist Date: Sun, 16 Aug 2015 16:38:25 +0200 Subject: Initial import of my nikola website --- blog/2006/Nikolaus.md | 52 +++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++ 1 file changed, 52 insertions(+) create mode 100644 blog/2006/Nikolaus.md (limited to 'blog/2006/Nikolaus.md') diff --git a/blog/2006/Nikolaus.md b/blog/2006/Nikolaus.md new file mode 100644 index 0000000..c336d4b --- /dev/null +++ b/blog/2006/Nikolaus.md @@ -0,0 +1,52 @@ + + +Wie fuer jeden respektablen vierzehnjaehrigen Vorstadtpunker gehoerte auch fuer mich die Wahl der passenden Fussbekleidung massgeblich zur Definition des +Erscheinungsbilds. Ein Rundumblick in meiner damalige Kohorte – besser gesagt auf deren Botten – verriet mir ziemlich schnell, wohin der Zug gehen +sollte: Aus einem mir damals komplett verborgenen Grund heraus haben es [Doc Martens](http://en.wikipedia.org/wiki/Doc_Martens) Schuhe geschafft, in +der links-intellektuell links-liberal und links-radikalen Szene zum shoe-to-wear aufzusteigen. Und die natuerlich moeglichst bunt – moeglichst ungepflegt, +eventuell mit Gloeckchen an roten Baendeln und selbstbemalten Bluemchen auf dem Leder fuer die Maedchen, mit reichlich innovativem Fixierkram wie Gaffaband, +Sicherheitsnadeln und Jeansbuegelflicken fuer die Herrn – und natuerlich mit Stahlkappe fuer die harte Fabrikarbeit und die taeglichen Pruegeleien mit den +Rechten ;) Die Wahl der Schnuersenkelfarbe war natuerlich essentiell! Nie durfte man sich mit weissen blicken lassen, jene waren den Nazis und den Punks, die +sich wie Nazis verkleiden, um sie dann besser verhauen zu koennen (fragt nicht, war so ;) vorbehalten. Mit roten und gestreiften war man schon von Weitem als +eher radikalerer Linker zu identifizieren, die rosanen (naja.. eigentlich trug nur einer meiner Bekannten rosa Senkel) zeichneten Mitglieder der radikalen +schwulen Szene aus. Mit schwarzen, so wie sie aus dem Laden kamen, outete man sich so irgendwie als Modepunk, hatte aber auch im Zweifel vor allen Radikalen +Ruhe und lief (fuer damalige Verhaeltnisse) nicht mit Markenschuhen herum. + +Daran, mir mein eigenes Paar zu besorgen, fuehrte so natuerlich kein Weg vorbei – allein in Berlin waren diese Treter mit fast zwohundert Mark und einem +Taschengeld von zwoelffuffzich in der Woche unerschwinglich teuer. Davon musste man sich naemlich auch noch die restliche szenetypische Verkleidung, wie +Kapuzenpullis und bedruckte T-Shirts, heranschaffen. + +Wie es der Zufall so wollte, fuehrte mich mein Nerdhobby auf ein Geekzusammentreffen in London. Meine Eltern liessen fuer die Reise Kohle springen, +schliesslich ging es ja auch um Weiterbildung und ich konnte die Welt kennenlernen, uuuuuuund – alle Punkerfreunde waren neidisch – gab es +Geruechten zu Folge in London bei Shelleys Doc Martens fuer 30 Pfund, rund 90 DM. Dort hatte sich Doc Martens als lose Marke fuer alle Hersteller von billigen +Arbeiterbotten gehalten und es war schwer, mit den Preisen anzuziehen. Ueberhaupt koenntet ihr euch mal [mit der +Geschichte](http://www.veganline.com/brand.htm) und dem eher unruehmlichen Ende der Marke (fuer mich) vertraut machen. ([Hier noch +mehr](http://www.veganline.com/bouncing-boot.htm).) + +Fuer mich war ganz klar, dass ich die Chance nutzen musste, mir die Schuhe dort zu kaufen. Neunzig Mark waren jedoch auch kein [Pappenstiel](http://www.korrekturen.de/beliebte_fehler/pappenstil.html). Also machte ich meine ersten Versuche mit der Marktwirtschaft als +Schuhverkaeufer. Ich sammelte Bestellungen ein schlug dreiste 20 Mark drauf, von denen ich jedoch nur zehn offiziell als Aufwandsentschaedigung deklarierte, die +andere Haelfte log ich mit hoeheren Einkaufspreisen, stark schwankenden Wechselkursen und grosszuegigem Aufrunden zusammen. Am Ende musste ich nur noch zehn Mark +aus meiner eigenen Tasche bezahlen, was ich fuer eine Reise nach London und ein paar In-Boots als ziemlich lockeren Deal empfand. + +Ironischerweise waren das wirklich die billigsten Boots, die ich jemals gekauft habe (selbst bei unsubventioniertem Preis), welche dann mit drei Jahren fast +durchgaengiger Benutzung auch noch am laengsten gehalten haben. Schon die direkt im Anschluss gekauften Docs gaben bereits nach einem halben Jahr ihren Geist +auf, da die Marke nun offiziell zur Modeschuhmarke verkommen war. + +Leider hatte ich meiner Tollpatschigkeit wegen die Stahlkappe extrem liebgewonnen. Nach allem, was mir da schon draufgefallen ist, wuerden mir heute +bestimmt eine handvoll Zehen fehlen. Die Marktsituation bei den Stahlkappenboots war aber nicht besonders rosig: Die Naht ueber der Kappe, wie sie andere +Hersteller drauftun, finde ich schlicht haesslich. Aufgenaehte Flammenmuster auch. Gluecklicherweise entdeckte ich die (in Google einfach unauffindbare) +Schuhfirma Tredair, die erstens im Gegensatz zu Doc Martens nicht Kinder in Vietnam und China naehen laesst und zweitens auch einfach viel tollere Schuhe macht. +Die Naht am Hacken faengt nicht schon nach zwei Wochen Benutzung mit Aufdroeseln an, da noch liebevoll ein Stueck Leder herumgenaeht ist, die Pappe unter der +Kappe bricht einfach selbst mit meinen destruktiven Zehen nicht. Meine letzten haben anderthalb Jahre gehalten und das ist eigentlich mehr, als man von taeglich +und ueberall getragenen Botten erwarten kann. + +Als ich jedoch vor zwei Wochen bei meinem [lokalen Stammdealer](http://www.blue-moon-shoes.de/kontakt.html) Nachschub holen wollte, fiel ich fast +aus allen Wolken: Zehnloch gibt es gar keine mehr und Achtloch kaemen erst wieder rein. Die Produktion scheint eingestellt, oder nicht mehr zu lohnen, oder +allein der Import nicht mehr zu lohnen, kurzum: Ich machte mich auf eine Recherchereise im Internet, um eventuell direkt von Werk zu ordern oder vielleicht einen +obskuren Importeur zu finden. Aber nix! Man findet sie ueberhaupt kaum und wenn, dann in Farben, die erklaeren, warum sie noch zu haben sind oder als schmucke +Halbschuhe. + +Und heute... heut habe ich dann wenigstens noch die Achtloch eingesackt. Und zwar gleich zwei Paar. Man weiss ja nie, wie lange es die noch gibt... -- cgit v1.2.3