.. date: 2015/10/20 01:30 .. title: Warum ich nicht rauche In letzter Zeit ist das Belehren von Minderheiten über die Fehlerhaftigkeit ihres anachronistischen Tuns in bestimmten Communities en vogue geworden: * Fleischlappenkonsum? – Go vegan! * Alkoholkonsum? – Straight edga! * Kraftfahrzeug mit Verbrennermotor? – Werde Kampfradler! * Festanstellung? – Crowdfunded Lattetrinker! Und dann ist da natürlich die Unsäglichkeit des Nikotinkonsums inklusive der Zwangsbeglückung der Umstehenden, der eigentlich schlimmsten Schnorrer: den Passivrauchern, die unisono ihre Überlegenheit mit passiv-aggressivem Gehuste und den heroischen Geschichten des vierwöchigen kalten Entzugs demonstrieren müssen. Auch ich huste meist. Verdeckt. Meine Geschichte ist einfacher. Nicht so glamourös, aber nachvollziehbar. Ich war neun. Meine Mama ist Lehrer für Mathematik in mehreren Klassenstufen. Bei den unter sechzehnjährigen war es Aufgabe der als Pausenaufsicht bestimmten Lehrer, Zigarettenschachteln zu konfiszieren und für die Herausgabe an die Erziehungsberechtigten aufzubewahren. Aus diesem Grunde befand sich in der Genussmittelsektion der Schrankwand meiner Nichtraucher-Eltern eine wohlsortierte und mit Herkunftszettelchen beklebte Sammlung von Tabakwaren. Ich war neun. Und allein zuhause. Und am Erkunden der Wohnung. Ich fand die Schachteln. An einer dieser Schachteln bediente ich mich, kombinierte die stibitzte Zigarette auf dem heimischen Balkon mit einem Streichholz und nahm einen kräftigen Zug. Nichts passierte. Ich nahm einen noch kräftigeren Zug und voller Stolz einen *noch* kräftigeren Zug. Immer noch nichts. Die kolportierte Coolness des nikotinkonsumierenden Heldens klebte schon förmlich an mir, bis ich bemerkte, dass mein Streichholz nicht gezündet und ich nur massiv Nebenluft geschnorchelt hatte. Nach dem erneuten – nun erfolgreichen – Zündens meines Streichholzes erglimmte die Zigarette wirklich und mit der selben Verve wie beim letzten Kaltstart saugte ich einen saftigen Lungenzug f6 in meine unvorbereiten Bronchien, der mich instantan nach hinten umkippen ließ. Mehrere nicht näher erforschte vegetative Aussetzer des Gastrointestinaltrakt beförderten zu beiden Enden größere Mengen Materials nach außen, von denen mein Körper annahm, er könne mit dem aktuellen Unwohlsein in Zusammenhang stehen. Mit viel zu kleinen Pupillen, Kopfschmerzen, Übelkeit und von oben bis unten besudelt mit allen erdenklichen eigenen Körperflüssigkeiten litt ich noch mehrere Stunden vor der eigenen Uncoolness kapitulierend über dem elterlichen Klobeckenrand. Präpariert mit dieser Erfahrung erschien mir einige Jahre später die mit dem impliziten "Coolness"-Versprechen offerierte Zigarette auf dem Schulhof wie ein Hohn. Traumatisiert von den vor meinen Augen aufglimmenden Erinnerungen des gescheiterten ersten Annäherns an diese Droge fiel mir die Ablehnung unter diversen fadenscheinigen Ausreden nie schwer. Wahrscheinlich hat mir die Erfahrung mehrere tausend Euro und diverse Lebensjahre gespart. Die Gelegenheit, am eigenen Leib einen Nikotin-Entzug durchzuziehen, hat sie mich auch gekostet. Daher werde ich weiter abstinent hüsteln. Aber nicht werten.