From 1c48ba02060a6aaa75d83336236aaddc06c78630 Mon Sep 17 00:00:00 2001 From: 46halbe <46halbe@berlin.ccc.de> Date: Mon, 23 Mar 2009 03:52:31 +0000 Subject: committing page revision 2 --- updates/2007/online-durchsuchung.md | 87 +++++++++++++++++++++++++++++++++++++ 1 file changed, 87 insertions(+) create mode 100644 updates/2007/online-durchsuchung.md diff --git a/updates/2007/online-durchsuchung.md b/updates/2007/online-durchsuchung.md new file mode 100644 index 00000000..52dad6fc --- /dev/null +++ b/updates/2007/online-durchsuchung.md @@ -0,0 +1,87 @@ +title: BGH-Entscheidung zur Online-Durchsuchung: Schnüffeln auf privaten Rechnern +date: 2007-02-04 00:00:00 +updated: 2009-03-23 03:52:31 +author: 46halbe +tags: update + +Am Montag gibt der Bundesgerichtshof (BGH) seine Entscheidung zu sogenannten Online-Durchsuchungen bekannt. Entschieden wird, ob das heimliche Schnüffeln von Ermittlungsbehörden und Geheimdiensten auf Privatrechnern auf der Grundlage bestehender Gesetze zulässig ist. Für den Fall, daß von den BGH-Richtern die Zulässigkeit verneint wird, haben Koalitionspolitiker bereits angekündigt, den Richterspruch zu ignorieren und eine gesetzliche Regelung zu schaffen, diese Maßnahme als normale polizeiliche Ermittungsmethode zuzulassen. + + + +Der Chaos Computer Club (CCC) lehnt derartige Online-Durchsuchungen +entschieden ab. Es wäre ein weiterer Schritt zur Abschaffung wichtiger +Grundrechte, insbesondere des Grundrechts auf informationelle +Selbstbestimmung. Derartige Maßnahmen sind selbst bei schwersten +Straftaten unverhältnismäßig. Die heimliche, auch automatisiert mögliche +Online-Schnüffelei als normale Ermittlungsmethode einzuführen, +widerspricht unserer Verfassung. + +"Der Staat darf sich nicht der Methoden Krimineller bedienen, um +Straftaten aufzuklären", erklärt CCC-Sprecher Dirk Engling. "Tut er dies +doch, stellt er sich auf eine Stufe mit kriminellen Crackern und +verliert somit den letzten Rest seiner Glaubwürdigkeit." + +Der verharmlosende Name "Online-Durchsuchung" hat nichts mit einer +Hausdurchsuchung im Sinne unserer Strafprozeßordnung zu tun, bei der es +ein nachvollziehbares Protokoll gibt und unabhängige Zeugen hinzugezogen +werden können. Der duchsuchende Beamte sichert vor Ort nur Unterlagen +und legt sie dem Staatsanwalt zur Bewertung vor. Anders bei der +Online-Durchsuchung: Der schnüffelnde Beamte sieht sich nicht nur +private Dateien an und liest die persönliche Kommunikation mit, sondern +bleibt gleich als dauerhafter Lauscher auf dem Rechner präsent. + +Die Methode ist nur mit dem heimlichen Durchwühlen der Wohnung in +Abwesehnheit und ohne Wissen des Beschuldigten vergleichbar, was bei der +Staatsicherheit der ehemaligen DDR tägliche Praxis war. Auch der +vorgesehene Richtervorbehalt ändert nichts an der Schwere eines solchen +Eingriffs. Wie man derzeit am praktisch ungeprüften Durchwinken von +Abhöranträgen durch die Richterschaft sehen kann, schützt auch ein +Richtervorbehalt nicht vor der ungezügelten Anwendung eines schweren +Grundrechtseingriffs. + +Die Behörden können mit Hilfe eines entsprechenden sogenannten +"Bundes-Trojaners" den heimischen Computer sogar komplett fernsteuern: +Webcam einschalten, akustische Raumüberwachung per Mikrofon, Abhören von +Internet-Telefonaten, Mitlesen von Chat und E-Mail, Live-Übertragung von +Webseitenabrufen – dagegen ist selbst der "Große Lauschangriff" +vergleichsweise minimal-invasiv. Denn die "Online-Durchsuchung" geht +weit über den Lauschangriff hinaus: Nicht nur das aktuell gesprochene +Wort wird registriert, sondern die Ermittler bekommen Zugriff auf +archivierte und möglicherweise verschlüsselte Daten, für die sonst ein +Zeugnisverweigerungsrecht besteht. + +Besonders kritisch ist, daß ein solcher Angriff auch das Anlegen und +Verändern von Dateien auf dem "durchsuchten" Computer erlaubt. +Beweismittel können per Mausklick problemlos und spurenfrei auf dem +infiltrierten Rechner angelegt oder manipuliert werden. Dem Verdächtigen +bleibt im Zweifel keine Chance, eine Manipulation an seinem Computer +nachzuweisen. Heimlich eingeschmuggelte kinderpornografische Bilder +reichen bereits aus, um mißliebige Personen effektiv mundtot zu machen. + +Der CCC weist darauf hin, daß technische Abwehrmaßnahmen wie Firewalls +und Virenscanner kaum Schutz vor einem solchen staatlichen +Schnüffelangriff bieten werden. Schon heute sind Angriffe im Bereich der +Industriespionage, die mit Hilfe von gezielt eingeschleusten Trojanern +ausgeführt werden, kaum abzuwehren. "Einen nachhaltigen Schutz des +heimischen Computers vor staatlichen Schnüfflern bietet nur eine klare +politische Absage an derartige Stasi-Methoden", sagt Dirk Engling. "Wir +warnen davor, sich nur auf einen aktuellen Virsenscanner oder die +Personal Firewall zu verlassen." + +Besonders kritisch wird die Lage, wenn die Betriebssystem- und +Softwarehersteller sich vom Staat erpressen lassen und Updates für +Sicherheitslücken, die für einen Bundes-Trojaner geeignet sind, +absichtlich verzögern oder sogar spezielle Hintertüren für die Behörden +vorsehen. "Den Begehrlichkeiten der Behörden nach entsprechender +Unterstützung wird ein Softwarehersteller nur schwer widerstehen können, +wenn öffentliche Einrichtungen zum Kreis der wichtigen Kunden zählen", +ist sich Dirk Engling sicher. + +Die Idee der heimlichen Online-Durchsuchung widerspricht diametral den +Bestrebungen der Bundesregierung nach mehr Computersicherheit. Die +privaten Rechner der Bürger werden durch den "Bundes-Trojaner" zu +offenen Scheunentoren für Schadprogramme aller Art. Denn wird von +staatlicher Seite die Behebung von Sicherheitslücken verzögert, um +solche Ermittlungsmaßnahmen vorzubereiten, würde dies auch Kriminellen +helfen, auf diesem Wege Schadprogramme zu verbreiten. Die Kriminalität +im Internet wird weiter zunehmen – vom Staat begünstigt. -- cgit v1.2.3