From 89df30db86d4b83cf749f3b62667d66d866e39e2 Mon Sep 17 00:00:00 2001 From: 46halbe <46halbe@berlin.ccc.de> Date: Mon, 25 Apr 2011 23:49:44 +0000 Subject: committing page revision 1 --- pages/faq-kulturwertmark.md | 273 ++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++ 1 file changed, 273 insertions(+) create mode 100644 pages/faq-kulturwertmark.md (limited to 'pages') diff --git a/pages/faq-kulturwertmark.md b/pages/faq-kulturwertmark.md new file mode 100644 index 00000000..3376962c --- /dev/null +++ b/pages/faq-kulturwertmark.md @@ -0,0 +1,273 @@ +title: FAQ Kulturwertmark +date: 2011-04-25 23:25:00 +updated: 2011-04-25 23:49:44 +author: presse +tags: kulturwertmark + +**Was ist denn daran besser als eine Kulturflatrate?**\ +\ +Bei einer Kulturflatrate entscheidet eine zentrale Organisation – wie +etwa die GEMA – über die Verteilung der Gelder. Diese Entscheidungen +stimmen erfahrungsgemäß weder mit den Vorlieben der Zahlungspflichtigen +überein noch unterstützen sie eine gesellschaftlich sinnvolle +Kulturentwicklung. Die Alternative – eine Komplettüberwachung des Netzes +zur Downloadzahlenermittlung – ist noch weniger wünschenswert.\ +\ +**Von wem wird das Geld eingesammelt?**\ +\ +Die langfristige Idee ist, daß alle steuerpflichtigen Bürger zum System +beitragen und daran teilnehmen können. Da anfangs die technische +Ausgestaltung des Systems eher online-lastig sein wird und Netznutzer +einerseits auch am meisten Filesharing betreiben und andererseits am +stärksten von einer digitalen Allmende profitieren werden, ist eine +Erhebung auf der Basis eines Zuschlags zu Internetzugängen denkbar. Dies +wird allerdings mehr Bürokratie auf der Erhebungsseite erzeugen, da etwa +Personen mit mehreren Internetzugängen nicht mehrmals zur Kasse gebeten +werden sollen.\ +\ +**In welcher Organisationsform sollte das Kulturwertmark-System +realisiert werden?**\ +\ +Wir schlagen vor, das System als eine vom Staat initial finanzierte, +aber vollständig unabhängige Stiftung zu realisieren, die von den +Ländern Hilfe beim Erheben der Beiträge erhält (oder alternativ mit den +ISPs Verträge über Einzug und Weiterleitung abschließt). Die Besetzung +des Exekutivgremiums der Stiftung sollte hälftig per allgemeiner Wahl +unter den Teilnehmern und Künstlern erfolgen, so daß die Interessen +beider Seiten adäquat repräsentiert sind. Stimmberechtigt ist, wer +mindestens für eine festzulegende Zeit (etwa drei Monate) in das System +eingezahlt hat. Wenn die Anzahl der Benutzer um eine signifikante Zahl +gestiegen ist, sind Neuwahlen durchzuführen. Eine Besetzung analog der +Quotenregelung wie bei den Rundfunkräten hat sich nicht bewährt und ist +undemokratisch.\ +\ +Stiftungsposten sollten zeitlich beschränkt werden. Das Budget der +Stiftung soll schmal gehalten und auf die technische Durchführung +ausgerichtet sein. Der Verwaltungs-Overhead sollte aus den Zinsgewinnen +des Stiftungsvermögens gedeckt werden, so daß eine hundertprozentige +Auszahlungsquote der erhobenen Beiträge an die Künster erreicht wird und +keine Transaktionsgebühren erhoben werden müssen. Eine +privatwirtschaftliche Lösung ist nicht erstrebenswert, +Interessenskonflikte wären hier vorprogramiert, die Auszahlungsquote +sänke.\ +\ +Die Entwicklung der nötigen Software muß als Open Source auf der Basis +offener Standards erfolgen und von der Stiftung finanziert werden. Etwa +notwendige Patente sind aus dem Stiftungsvermögen anzukaufen. Die +Stiftung muß finanziell so ausgestattet werden, daß sie den +fortlaufenden Betrieb inklusive aller notwendigen Organe (wie +Schiedsgerichte, Softwareentwicklung, technischer Betrieb etc.) aus den +Stiftungserträgen bestreiten kann.\ +\ +**Wer legt die Höhe des Betrages fest?**\ +\ +Die Höhe des monatlichen Betrages hängt von der Bedeutung ab, die wir +als Gesellschaft Kunst und Kultur zugestehen. Mit den derzeit über 25 +Millionen Internetanschlüssen in Deutschland wären mit fünf Euro pro +Monat potentiell über 1.500 Millionen Euro pro Jahr an verteilbarem Geld +verfügbar. Die Höhe des monatlichen Beitrags sollte durch das +demokratisch gewählte Stiftungskomitee festgelegt oder per Abstimmung +ermittelt werden.\ +\ +**Ist das nicht sozial ungerecht? Was ist, wenn ich mehr Punkte erwerben +will?**\ +\ +Die Frage ist hier, welches Ziel mit dem +[Kulturwertmark-System](http://ccc.de/de/updates/2011/kulturwertmark) +erreicht werden soll. Bisher ist der Zugang zu Werken der Kunst nur +selten kostenfrei möglich und benachteiligt daher finanziell Schwächere. +Ausgeglichen wird das durch die Kulturförderung, subventionierte Tickets +und andere Maßnahmen. Eine Staffelung des Beitrags zum System der +Kulturwertmark nach Einkommen wäre sicher denkbar, würde aber die +Bürokratiekosten erhöhen. Wir schlagen daher vor, daß der Beitrag für +alle gleich ist, es jedoch jedem freisteht, mehr Kulturwertmark zu +erwerben, und die Kosten bis zu einer gewissen Höhe steuerlich +abzusetzen. Dadurch wird ein niedrigschwelliger Anreiz erzeugt, mehr +Geld für Kunst und Kultur auszugeben.\ +\ +**Wie funktioniert die Registrierung der Werke?**\ +\ +Der Künstler (oder der von ihm beauftragte Verwerter) reichen in einem +Online-Verfahren das Werk zur Registrierung ein. Dabei muß glaubhaft +versichert werden, daß das Werk eigenschöpferisch vom Künstler erstellt +wurde und er die Urheberrechte besitzt. Das Werk bekommt eine eindeutige +Bezeichnung und eine Kulturwertmark-ID, die für die weitere Abrechnung +benötigt wird. Von jedem Werk ist bei Einreichung eine digitale Kopie +bei der Stiftung in einem unverschlüsselten, DRM-freien Format +entsprechend den Vorgaben der Satzung zu hinterlegen, um bei Erreichen +des Auszahlungsziels einen Übergang in die digitale Allmende ohne Verzug +oder Streitigkeiten zu erreichen.\ +\ +**Wird es Einreichungsbetrug geben? Wie wird damit umgegangen?**\ +\ +Betrug, etwa durch Einreichung von fremden Werken unter eigenem Namen, +wird natürlich vorkommen, allerdings auch verfolgt und bestraft. Die +Stiftung hat für effektive Stichproben ein gewisses Budget sowie ein +niedrigschwelliges Meldesystem bereitzustellen. Der Künstler bzw. der +von ihm beauftragte Verwerter begeben sich mit der Einreichung in eine +zivil- und strafrechtliche Verantwortung, ähnlich wie es bereits heute +bei Verlagen der Fall ist. Plagiatoren und Einreicher fremder Werke +werden öffentlich benannt, strafrechtlich verfolgt und von der weiteren +Teilnahme am System ausgeschlossen. Die Einkünfte aus dem System sind +normal steuerpflichtig, so daß es keine Anreize für Betrug über +zugekaufte +[Kulturwertmark](http://ccc.de/de/updates/2011/kulturwertmark) gibt.\ +\ +**Ist das Micropayment sicher?**\ +\ +Als technische Basis kann das ehemals als DigiCash bekannte, auf +sogenannten Blind Signatures beruhende System dienen, dessen +Basispatente 2005 ausgelaufen sind. Die Kryptographie für anonymes, +kryptographisch gesichertes Micropayment ist hinreichend gut erforscht +und bei entsprechender öffentlicher, einsehbarer Umsetzung auch +hinreichend sicher zu implementieren. Da die Beträge pro Nutzer sehr +klein sind, kann ein entsprechend niederschwelliges, unkompliziertes +Verfahren gewählt werden, daß primär gegen massenweise automatische +Transaktionsauslösung etwa durch Trojaner gesichert werden muß. Ziel +sollte eine auch von anderen Ländern wiederverwendbare Lösung sein, die +als öffentlicher Referenzstandard mit freier Software realisiert wird.\ +**\ +Wie wird der Schwellwert für den Übergang in den Allgemeinbesitz +festgelegt?**\ +\ +Hier gibt es zwei grundlegende Möglichkeiten. Die erste ist eine +generelle Festlegung etwa je nach Umfang des Werks, seiner +Schöpfungshöhe und dem zur Erstellung nötigen Aufwand. Die zweite ist, +den Künstler die Höhe selbst festlegen zu lassen. In der Praxis wird +vermutlich ein kombiniertes System von Orientierungswerten und +Maximalkappungsgrenzen zur Anwendung kommen, bei der die Stiftung +Empfehlungen ausspricht, denen der Künstler dann folgen kann oder nicht. +Wichtig ist hier, daß das Ziel der Schaffung einer digitalen Allmende +nicht durch unrealistisch hohe Schwellwerte unterminiert wird. Hier hat +die Stiftung steuernd einzuwirken.\ +\ +Wünschenswert ist zusätzlich ein automatischer, zeitlicher Schwellwert, +der noch unterhalb der dann reduzierten Urheberrechtsschutzfristen +liegt. Beispielsweise geht nach fünf Jahren automatisch jedes Werk in +die Allmende über, unabhängig von den bis dahin aufgelaufenen Zahlungen. +Die Möglichkeit, weiter Einnahmen zu generieren, besteht auch nach dem +Übergang des Werkes in die Allmende.\ +\ +**Wer verwaltet und erhält die Werke im Allgemeinbesitz?**\ +\ +Die Werke im Allgemeinbesitz müssen jederzeit für alle frei in digitaler +Form zugänglich sein. Wenn die Deutsche Zentralbibliothek sich in der +Lage sieht, diese Anforderung zu erfüllen, wäre sie sicher eine +geeignete Institution. Prinzipiell ist mit dem Übergang in den +Allgemeinbesitz eine Verantwortung der Allgemeinheit zum Erhalt und +Zugänglichhaltung der Werke verbunden, für die entsprechende +Voraussetzungen geschaffen werden müssen. Physische Werke (Plastiken, +Bilder etc.) kommen in einen Kunstwerke-Pool, aus dem sich die deutschen +Museen für Ausstellungen bedienen können. Werke, die den monetären +Schwellwert für den Übergang in die Allmende nicht erreichen, können +auch in rein digitaler Form archiviert und ansonsten im physischen +Besitz des Künstlers belassen werden.\ +\ +**Muß für die Verteilung der nicht vergebenen Punkte nicht ein irrer +Aufwand getrieben werden?**\ +\ +Nein. Es werden einfach zum Ende jedes Quartals die abgelaufenen Punkte +aufsummiert und ins Verhältnis zu allen im Quartal vergebenen Punkten +gesetzt. Konkret würde beispielsweise ein Künstler, der in einem Quartal +18% der verteilten Punkte bekommen hat, darüber hinaus 18% der ansonsten +verfallenden Punkte dieses Quartals dazubekommen. Das Verfallsprinzip +ist notwendig, um einen hohen Anreiz zur aktiven Nutzung des Systems zu +schaffen und den "garantierter Mindestumsatz"-Effekt zu erzielen. Nur in +dem seltenen Fall, daß kein einziger Punkt an einen Künstler verteilt +wurde, wird auch kein Mindestumsatz erreicht.\ +\ +**Welche Änderungen am Urheberrecht soll es konkret als Gegenleistung +geben?**\ +\ +Die konkrete Formulierung der notwendigen Änderungen am Urheberrecht +bedarf aufgrund der Komplexität der existierenden Gesetze einiger +Arbeit. Klar ist aber, daß für die durch das Kulturwertmark-System +entstehende de-facto-Umsatzgarantie für schöpferische Tätigkeit im +Gegenzug deutliche Abstriche an den derzeit bestehenden restriktiven +Regelungen erfolgen müssen. Erforderlich sind mindestens:\ +\ +1. Deutliche Verkürzung der Schutzfristen,\ +2. Beschränkung der straf- und zivilrechtlichen Verfolgung von +Filesharing und privaten Kopien auf kommerzielle Verstöße, also solche, +die zum Zwecke der profitorientierten Gewinnerzielung erfolgen,\ +3. Änderung der verwerterorientierten Prämissen des derzeitigen +Urheberrechts hin zu einem angemessenen Ausgleich zwischen Autoren- und +Rezipientenrechten,\ +4. Sicherstellung, daß kein Durchgriff auf deutsche User durch +internationale Abkommen etc. passiert,\ +5. Aufnahme von Klauseln, die es Autoren erlauben, auch bestehende +Werke, die unter restriktiven Regeln lizensiert wurden, ins System +einzustellen.\ +\ +**Für welche Arten Kunst ist das System geeignet, für welche nicht?**\ +\ +Für jede Art von Kunst, Kultur, schöpferischer Tätigkeit, die einen +Werkcharakter hat, ist das System geeignet. Auch Ölgemälde können +beispielsweise so in den Besitz der Allgemeinheit übergehen. Das +Original geht dann auf Wanderschaft durch die staatlichen Museen, die +digitalen Bildrechte stehen allen zur Verfügung.\ +**\ +Wie läßt sich eine Ballung von Zahlungen an die üblichen +Mainstream-Big-Names verhindern, so daß statt weniger Millionäre viel +mehr "kleine" Künstler ein Auskommen finden?**\ +\ +Eine Möglichkeit wäre die Aufteilung der Punkte in verschiedene +Kategorien, so daß etwa nur zwanzig Prozent der Punkte in der Sparte +Popmusik vergeben werden können. Die Nebenwirkungen einer solchen +Regelung, inklusive der Entscheidung, wer die Anteile und die Kategorien +festlegt und nach welchen Kriterien, müssen jedoch sorgfältig durchdacht +werden. Eine womöglich technisch einfachere Lösung ist eine generelle +Kappungsgrenze pro Werk oder pro Künstler.\ +\ +**Was ist mit internationalen Werken?**\ +\ +Jeder Anbieter kann dem jeweiligen System eines Landes (also auch +mehreren gleichzeitig) beitreten. Die Konsequenzen des Beitritts sind +für jeden Anbieter in dem gewählten Land gleich. Später wäre auch eine +Zusammenfassung der nationalen Systeme zu einem größeren Ganzen +denkbar.\ +\ +**Was wird die Rolle der Verwerter und Verlage in diesem System?**\ +\ +Die Verwerter und Verlage können sich wie bisher in der Vermarktung der +Werke engagieren. Das umfaßt die öffentliche Aufführung, +Datenträger-Distribution, Cover Art und Preview. Auch das Management der +Künstler wird nach wie vor eine  Aufgabe der Verwerter sein.\ +\ +**Enden die Zahlungen an den Künstler irgendwann?**\ +\ +Nein. Auch nach Erreichen des Auszahlungs- bzw. Zeitziels und des +Übergangs in die digitale Allmende bleibt es möglich, Zahlungen für ein +bestimmtes Werk zu leisten, die dann an den Künstler ausgeschüttet +werden. Die Verweildauer eines Werks im System ist prinzipiell +unbegrenzt, um etwa auch "Spätzünderwerke" zu unterstützen, bei denen +erst viele Jahre nach ihrer Schöpfung eine öffentliche Wertschätzung +einsetzt.\ +\ +**Ist das nicht das Gleiche wie Flattr?**\ +\ +Seitdem wir angefangen haben, das Kulturwertmark-Modell zu diskutieren, +sind einige der ehemaligen Betreiber des größten Bittorrent-Trackers The +Pirate Bay auf ähnliche Gedanken gekommen. Ihr Konzept Flattr beruht auf +einer freiwilligen monatlichen Spende und einer anteiligen Ausschüttung, +je nachdem wievielen verschiedenen Künstlern man Geld im +Abrechnungszeitraum zukommen lassen will. Ein weiterer wesentlicher +Unterschied ist, daß bei Flattr der gesamte Aspekt der Rechte am Werk +ausgeklammert wird. Man gibt nur Geld an den Künstler, ohne daß sich +dadurch die Verwertungsrechte verändern oder eine digitale Allmende +gebildet wird. Es gibt auch kein Konzept einer Gegenleistung der +Contentindustrie in Form eines entschärften Urheberrechts. Von Flattr +läßt sich aber viel über akzeptierte und genutzte Formen des Ausgebens +von [Kulturwertmark](http://ccc.de/de/updates/2011/kulturwertmark) +lernen. Und nicht zuletzt: In Deutschland hat sich Flattr als am +erfolgreichsten  erwiesen, es gibt hier offenbar viel Akzeptanz für +derartige Modelle.\ +\ +**Funktioniert das auch für meine Podcasts? Oder meinen Online-Roman, +den niemand drucken wollte?**\ +\ +Ja. Prinzipiell kann jedes schöpferische Werk ins System eingestellt +werden. Auch ist vorstellbar, jeden Monat ein feste Zahl der +Kulturwertmark, ähnlich wie ein Abonnement, an einen Künstler oder +Journalisten zu vergeben, die dafür ihre regelmäßig produzierten Inhalte +ins System einstellen. -- cgit v1.2.3