From 957cf5268d8e2a8627fcebe63235fb53fda3506a Mon Sep 17 00:00:00 2001 From: 46halbe <46halbe@berlin.ccc.de> Date: Thu, 29 Mar 2012 17:55:12 +0000 Subject: committing page revision 1 --- updates/2012/drehbuchautoren.md | 183 ++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++ 1 file changed, 183 insertions(+) create mode 100644 updates/2012/drehbuchautoren.md (limited to 'updates') diff --git a/updates/2012/drehbuchautoren.md b/updates/2012/drehbuchautoren.md new file mode 100644 index 00000000..d2eb0bc3 --- /dev/null +++ b/updates/2012/drehbuchautoren.md @@ -0,0 +1,183 @@ +title: Antwort auf den offenen Brief der Tatort-Drehbuchschreiber +date: 2012-03-29 17:30:00 +updated: 2012-03-29 17:55:12 +author: zas +tags: verwertungsindustrie, netzgemeinde, software, schutzfristen + +Im Rahmen der Debatte zu einem moderneren Verwertungsrecht haben sich 51 Drehbuchautoren, die regelmäßig für den Tatort schreiben, zu Wort gemeldet. Zu diesem Brief möchten 51 Hacker des Chaos Computer Clubs (CCC) hier ein paar Anmerkungen loswerden. + + + +## Liebe Tatort-Drehbuchschreiber, + +mit Freude nehmen wir – ganz kess als Vertreter der von Euch +angeprangerten "Netzgemeinde" – Euer Interesse \[1\] an unseren Gedanken +zu einer Versachlichung der Diskussion über Urheber- und +Urheberverwertungsrechte im digitalen Zeitalter wahr. Bevor wir aber +unnötig gleich zu Beginn Schubladen öffnen: Auch wir sind Urheber, sogar +Berufsurheber, um genau zu sein. Wir sind Programmierer, Hacker, +Musiker, Autoren von Büchern und Artikeln, bringen gar eigene Zeitungen, +Blogs und Podcasts heraus. Wir sprechen also nicht nur mit Urhebern, wir +sind selber welche. + +Es wird daher keinen "historischen Kompromiß" geben, denn es stehen sich +nicht zwei Seiten gegenüber, jedenfalls nicht Urheber und Rezipienten, +sondern allenfalls prädigitale Ignoranten mit Rechteverwertungsfetisch +auf der einen Seite und Ihr und wir auf der anderen, die wir deren +Verträge aufgezwungen bekommen. + +Das Tragische (im griechischen Sinne) ist doch, daß wir beide Opfer des +Verwertungssystems sind. Ihr schuftet Euch seit Jahren für die +Verwertungsindustrie ab und habt so viele Eurer Rechte weggegeben, daß +weder Ihr noch Eure Nachfahren von der verlängerten +Urheberrechtsschutzfrist etwas haben. Das ist bloß ein +Verhandlungsmittel, mit dem Ihr zu reduzieren hofft, wie doll Euch die +Verwertungsindustrie abzockt. Wir kämpfen eigentlich auf derselben +Seite, aber ihr merkt es nicht einmal. + +Bei uns ist das ganz ähnlich. Viel Software wird inzwischen gar nicht +mehr für Profit geschrieben, sondern frei ins Netz gestellt oder als +Selbstvermarkter-Shareware, weil den Autoren klar ist, daß sie nie einen +müden Cent sehen werden für ihr Werk. Für Software gibt es keine +Verwertungsgesellschaften, mangels historischen Präzedenzfalls. Wenn Ihr +Euch mal umschaut, werdet ihr sehen, daß auch kein einziger von uns +Software-Autoren eine GEMA für Software fordert. Wir nehmen Euch nichts +weg, das wir für uns fordern. Wir haben uns nur von der Idee +verabschiedet, daß dieses Modell in zehn Jahren noch existieren wird. + +Software im kommerziellen Bereicht entsteht im Allgemeinen als +Werksvertrag oder unter Anstellung, und sämtliche Verwertungsrechte +gehen an die Auftraggeber. Kommt Euch das bekannt vor? Nur daß bei uns +niemand unsere Rechte zu vertreten versucht. Und wißt ihr, welcher +kreative Bereich stärker wächst und mehr Umsatz macht, Eurer oder +unserer? Überraschung: Es stellt sich heraus, daß man auch ohne +Verwertungsindustrie überleben kann. Anstatt Euch an den Konsumenten +gütlich zu tun, solltet Ihr Eure Anstrengungen darauf konzentrieren, für +Eure Werke direkt vom Auftraggeber ordentlich entlohnt zu werden. Was +ihr braucht ist eine den Namen verdienende, starke Gewerkschaft, kein +Monster aus Verwertungsgesellschaften, die dann Youtube langjährig +verklagen, weil sie kostenlos Werbung für Euch machen und Euch damit +zukünftige Aufträge verschaffen. \[2\] + +Um die Anwürfe in Eurem offenen Brief zu sortieren: + +- "wir" würden eine apokalyptische Zeit der Kulturlosigkeit a la + "Demolition Man" heraufbeschwören, um allen kostenlos Zugang zu + aller Kultur zu verschaffen, +- der Feind seien grundsätzlich alle nur an Geld und nicht an der + Kultur interessierte Verwerter, +- "wir" würden nicht anerkennen, daß sich Kulturdienstleister durch + das Schaffen von Werken Eigentum akkumulieren dürften. + +Die Pauschalkritik an Verwertern, die uns nun mit so bunt +zusammengeklaubten Kommentaren von so unterschiedlichen Quellen wie drei +Parteien und einer von Euch offensichtlich nicht ganz verstandenen +"Netzgemeinde" um die Ohren gehauen wird, ist so nie geäußert worden. +Dieser plumpe Diskussionstil ist uns zuletzt bei den eben alle Verwerter +in einen Topf werfenden Zwölfjährigen begegnet, die gegen Staat, GEMA +und zu wenig Taschengeld rebellierend ihre Lieblingsmusik für lau aus +dem Netz ziehen und denen dafür jede Rechtfertigung recht ist. Daß hier +noch kein Equilibrium im Spannungsfeld zwischen neuen Technologien und +Werkschaffungen im Vor-Netz-Zeitalter erreicht ist, ist offensichtlich. +Dies ist jedoch kein Grund, uns als Netizens mit in denselben Topf zu +werfen. + +Natürlich wird niemand behaupten, in den Filesharingdiensten würde +überwiegend Schostakowitsch getauscht. Dies ist keine Lebenslüge, +sondern hat weniger mit dem ebenfalls reformbedürftigen Verwertungsrecht +zu tun als mit dem Abmahnunwesen, das zur Zeit viele gerade jüngere, +nicht adäquat versorgte potentielle Konsumenten eiskalt erwischt. + +Die Verkürzung eines Schutzrechts ist dabei auch nur eins der Werkzeuge, +um gerade Euch (oder besser gesagt Euch und uns) Fallstricke beim +Ausüben unserer Berufe auszuräumen. Gerade Ihr solltet doch – bei der +recht dünnen Menge potentieller Krimiplots \[3\]– verstehen, daß +Plagiatsanwürfe beim Verwenden von Versatzstücken zu einem horrenden +Minenfeld werden. Wir (jetzt in einer Rolle) als Softwareurheber bewegen +uns seit zu langer Zeit schon in genau jenem +Software-Trivialpatente-Minenfeld, wir verstehen ganz gut, wohin der Zug +geht. + +Wir sollen also die Finger von den Schutzfristen lassen. Oh bitte, es +bluten einem die Ohren bei diesem ewiggestrigen Singsang, den wir uns +seit Jahren anhören müssen, während alle paar Jahre die Fristen +verlängert werden. Wir sind jetzt bald bei einer Länge von einem +Jahrhundert angekommen, und da bringt Ihr echt das Argument, man dürfe +die Schutzfristen nicht anrühren? Wir glauben, es hackt. Das ist das +Digitalzeitalter, Freunde, wir wissen nicht mal, wie wir digitale Daten +ein ganzes Jahrhundert lang bewahren sollen. Die Archive und +Bibliotheken haben noch nicht mal annähernd ein Konzept dafür. Und diese +DRM-Grütze und der Mangel an offenen Formaten, das sind die Probleme, +und beides hat einen Zusammenhang zu Schutzfristen. Nicht nur deswegen +müssen sie radikal verkürzt werden, sondern auch, weil selbst Ihr auf +den Schultern von Riesen steht, denen Ihr gefälligst Tribut zu zahlen +habt. + +Sir Arthur Conan Doyle schrieb dazu: »Wenn jeder Autor, der ein Honorar +für eine Geschichte erhält, die ihre Entstehung Poe verdankt, den +Zehnten für ein Monument des Meisters abgeben müßte, dann ergäbe das +eine Pyramide so hoch wie die von Cheops.« + +Das von Euch als gottgegeben hingestellte sogenannte "geistige Eigentum" +ist bei näherem Hinsehen eine Chimäre jüngeren Datums, gerne als +unsachlicher Kampfbegriff angeführt, um gewisse grundsätzliche +Diskussionen zu vermeiden. In den letzten Jahren sind dazu viele – auch +sehr ausgewogene – Kommentare verfaßt worden. \[4\] + +Daß einige Verwertungsgesellschaften mit dem simplen Fakt überfordert +sind, das Kopieren von Werken nicht verhindern zu können, ändert nichts +an der Tatsache, daß früher wie jetzt eine grundsätzliche Bereitschaft +besteht, Kulturdienstleister angemessen zu entlohnen. Wo es Wege gibt, +streßfrei und ohne Gängelungen Werke zu fairen Konditionen zu beziehen, +werden diese ausgiebig genutzt, seien es App-Stores für Mobiltelefone +oder "Music Stores" mit einfachen Bezahlmodellen. E-Book-Geschäfte sind +ebenso gerade im Kommen, hakeln allerdings wegen der unausgereiften +DRM-Technologie ein wenig. In der Netzgemeinde werden über moderne +Konzepte wie "Flattr" sogar einzelne Wortbeiträge in Blogs oder für +Podcasts entlohnt. (Beispiel: \[5\]) + +Daß diese Transition nicht für jeden einfach ist, können wir +nachvollziehen. Und das Verbandsklagerecht fordern wir übrigens auch +schon seit Jahren. Und wer hat uns verraten? Richtig. + +Gerade Ihr als Tatort-Autoren, deren Brötchen zum großen Teil über die +Rundfunkgebühren bezahlt werden, solltet wissen, wie sich eine +Kulturflatrate anfühlt. Hier hungern Urheber nicht. Aber gerade diese +Verwertungsgesellschaft, die Eure Tatort-Drehbücher entlohnt, ist das +beste Beispiel, wie sich ein verselbständigter Wasserkopf mehr und mehr +der eigentlich Euch zustehenden Anteile am ausgestrahlten Werk +einverleibt. Hand hoch, wieviele von Euch sind festangestellt? Wieviele +wurden in den letzten Jahren durch Vertragsveränderungen bei den +Landesmedienanstalten auch noch der Zweitverwertungsrechte im Netz +beraubt? Na, und wie fühlt sich der Blick in Eure Buy-Out-Verträge an, +wenn Ihr ehrlich seid? Stockholmsyndrom? + +Da war noch was: Wir sollten mal mit unseren Kulturpolitikern reden, +meint Ihr. Was für eine tolle Idee, als laberten wir denen nicht schon +Blumenkohl ans Ohr seit einem Jahrzehnt. Hier müssen wir aber doch mal +auf ein paar wohlfeile Unterschiede zwischen den von Euch +zusammengemanschten Parteien Wert legen: Mit grünen Kulturpolitikern zu +reden, ist wie mit einer Wand. Sie hören selten zu, haben in den letzten +Jahren keine einzige zeitgemäße Idee zum Verwertungsrecht umsetzen +können und eine konservative Grundhaltung, die selbst Ansgar Heveling +eine Freude wär. (Ausnahmen bestätigen die Regel.) Die Piraten haben +keine Kulturpolitikerinnen. Die linken Kulturpolitiker sind ganz +entgegen anderslautender Gerüchte die mit Abstand progressivsten, die +neue Ideen auch gern mal durchdenken. Natürlich hätten sie eh keine +Macht, etwas umzusetzen, da diskutiert es sich eben einfacher. + +Na, jetzt eine Idee, wieso wir das mal einfach auf eigene Faust machen? +Genau. + +\[1\] [Offener Brief von 51 +Tatort-Autoren](http://www.drehbuchautoren.de/nachrichten/2012/03/offener-brief-von-51-tatort-autoren-0) + +\[2\] Kulturwertmark: +[Kulturwertmark](http://www.ccc.de/de/updates/2011/kulturwertmark) + +\[3\] + +\[4\] Ansgar Ohly, Diethelm Klippel (Hg.): Geistiges Eigentum und +Gemeinfreiheit, Tübingen: Mohr Siebeck 2007. + +\[5\] [Chaosradio Express](http://cre.fm/) -- cgit v1.2.3