Mad Karin
"Schnauze, Schneewittchen", denk ich noch bei mir und will mich wieder umdrehen, "kann man denn nicht einmal in Ruhe ausschlafen?" Aber es will einfach nicht aufhoeren. Kopfkissen und Bettdecke helfen genau gar nichts und das T-Shirt laesst sich nicht so leicht um den Kopf wickeln. Ich taste muede nach der Fernbedienung, bade dabei meine Hand in Muesli, weiss nicht und alter Unterwaesche und der Powerknopf macht nur noch mehr Laerm an. Worueber sich Gretel nun massiv beschwert. "Grandioser Start in den Tag", finde ich und nehme mir vor, nicht mehr mit Pilzen zu experimentieren wobei sich "frisch machen" nach einem soliden Plan anhoert.
Ich schubse die beiden beiseite und gruesse kurz Haensel, der es sich zwischen den Geranien bequem gemacht hat. "Ich hab im Flur Pflanzen?", gruebel ich noch kurz, werde aber von Einstein unterbrochen, der vorm Klo hin- und herhopst und sich in den allerschoensten Rottoenen den Piephahn zudrueckt. "Der bloede Napoleon kackt schon seit 'ner Stunde", schimpft er. Eigentlich steht mir der Sinn im Moment nicht nach Streit mit Staatsoberhaeuptern, aber trotzdem bummer ich gegen die Tuer, teils aus latentem Ungerechtigsempfinden, teils, weil ich dort selbst Einlass begehre. Ein bellendes "Ruhe da, hier werden wichtige Geschaefte erledigt" korrigiert jedoch meinen Bedarf an Argumentationen nach unten. "Kueche reicht ooch", beschliesse ich feierlich, da ich mir eh nur frisches Wasser ins Gesicht stellen wollte.
"Japp" jauchze ich, "Entscheidungen am fruehen Morgen machen halt erst dann Laune, wenn man sie getroffen hat." Ein gewagter Trab entlang des Flurs verschafft mir eine komfortable Stellung neben der Spuele, von der aus ich Batman und Goethe, die sich lebhaft ueber Latexunterhosen streiten, prima ignorieren kann. Was mir leider mit der, anscheinend umgekehrt proportional zur Uhrzeit immer gehaessiger schrillenden Tuerbimmel nicht so leicht gelingt, die mich just beim Hahnaufdrehen eiskalt erwischt. "Schosbodphadammta", grunz ich und scchildkroete mich zur Tuer, die sich dann aber herrlich wutentbrannt aufreissen laesst. Postbotin.
"Unglaublich", stelle ich fest, "dass es so bestimmte Leute gibt, die man einfach dafuer hasst, dass sie ihrer alltaeglichen Beschaeftigung nachgehen." "Also bloss zu den falschen Zeiten natuerlich", relativiere ich mich. Aber eigentlich ist es wie mit Finanzbeamten, Politessen und dem Papst. Aber das ist ein anderes Thema.
"Hab ich ueberhaupt Shorts an?" durchzuckt es mich und ich versuche, so beilaeufig wie moeglich an mir herunterzulinsen, was meinem Antlitz einen gruendlichen Hauch von Debilitaet verleiht. Die Hausfriedensbrecherin zeigt sich von meinem Auftritt komplett unbeeindruckt, was ich zwar als Beleg fuer die rudimentaere Vollstaendigkeit meiner Bekleidung deuten kann, aber ein gewisses Mass Entruestung ueber meinen Aufzug habe ich schon erwartet. "Was gibts?" klaeffe ich in gerade erst erlerntem Tonfall, was mich zumindest kurzfristig wieder Herr der Lage werden laesst und die neugierigen Blicke meinen Korridor hinunter auf mich verlagert. "Paket fuer Sie", scheint sie sich wieder des Grunds der Stoerung zu entsinnen.
Beim schwungvollen Tuerzuwerfen klemmt ueberraschend ein Postbotinnenschuh zwischen Tuer, gestiefeltem Kater und Rahmen. Hat wohl wehgetan. "Is schlimm?" scheinheilige ich. Einigermassen gefasst in Anbetracht des geknautschten Gesichts sprudelt es ihr heraus: "Ist das da Einstein, der da gegen ihre Wand hoppst, ich wollte schon immer mal ein Autog..." Fuss draussen, Tuer zu. "Irgendetwas hab ich wohl vergessen", bemerk ich erstaunlich gewitzt fuer die Uhrzeit: Tuer auf, "ramm von dem, wissen sie ich hab ja scho", Paket aus der Hand gerissen, "n so viel gelesen von i...", Tuer zu, Ruhe. Zumindest, bis sie sich erinnert, wo die Klingel ausgeloest wird. Ich schau mich kurz um, ob bei Grimm auch beamtenfressende Ungeheuer vorkommen. Ich erinner mich nicht ganz genau, aber da auf ein wirklich lautes "Postbote, FASS!" genau gar nichts passiert, nehm ich eher "nein" an. Und ein zwischen Glocke und Kloeppel gestopftes Tempo hilft auch erstmal.
Das Paket fuehlt sich weich an. "Bitte lass es einfach ne Briefbombe sein", fleh ich, aber "Platiksprengstoffpaketbombe" hoert sich einfach nicht wie aus den Nachrichten an. Missmutig reiss ich das Papier herunter. Koteletts.
Ich versuch mich jetzt muehsam an den gestrigen Abend zu erinnern, finde aber, dass "an alles nach dem Aufstehen erinnern" vollkommen reicht. Also bruell ich "wer hat hier Koteletts bestellt" durch die Wohnung, worauf der boese Wolf angesprungen kommt und es sich mit seinem frisch erbeuteten Fruehstueck in meiner Flugarderobe bequem macht. Auf meine fragenden Blicke schmatzt er bedeutsam zu Rotkaeppchen rueber: "Einstweilige Verfuegung, ich darf nicht naeher als 5 Meter an sie ran. Die hat jetzt n Anwalt." Damit loest sich meine gerade erst gewonnene Idee zur Dezimierung des Brieftraeger- und Maerchenfigurenbestands in Luft auf. "Macht nix", hoffe ich, verwerfe in Anbetracht des Riesen, der sich anschickt, den Wasserhahn leerzuschluerfen, noch schnell den Erfrischungsgedanken und schluerfe nun meinerseits zurueck.
Die Badtuer ist frisch eingetreten und im Inneren beeilen sich der liebe Gott und ein kleiner Eroberer, ihre Bloesse vor einem wuetenden Physiker zu verbergen.
"Klar!", glaub ich und "Bett". Darauf haben sich leider Unmengen an Unterlagen haeuslich eingerichtet, die wohl zu dem gegelten Anwalt gehoeren, der gerade Schneewittchen die Filmrechte abschwatzen will. Gretel ist immer noch dabei, auf die beiden einzureden, dass das mit den Brotkrumen wohl eindeutig ihr Patent sei und Haensel schlaeft.
Ein kurzer Blick verraet mir, dass in den Geranien kein Platz mehr ist. Wenn nicht schon laengst, verinnerliche ich mir, ist jetzt der Moment zum endgueltig wach werden. Ist ja schliesslich auch nicht mehr zum auszuhalten, nicht war? Wird naemlich langsam mal Zeit, dass ich rausfinde, was hier los ist. Und bei dem ganzen Durcheinander ist es auch nicht leicht, nen sinnigen Plot zusammenzustricken.
Ich klatsch mir kurz gegen die Stirn: "na klar, ich mach einfach als auktorialer Erzaehler weiter." Haett ich auch frueher drauf kommen koennen. Ich reisse also - wissend - die Kammertuer auf und da steht, traurig und in sich versunken, Karin, die depressive Zeitmaschine. "Natuerlich"- faellts mir wieder ein, die hab ich gestern in ner Bar aufgegabelt, wo sie unter ihrem Makeup, und vielleicht dem Einfluss einiger Biere, aber noch bedeutend einladender ausgesehen hatte.
"Warst du das hier etwa" herrsche ich sie an, worauf sie schuldbewusst auf ihren Flux-Kompensator schielt. "Ja!" gibt sie kleinlaut zu, "Immer wenn ich verzweifelt bin, schiess ich Persoenlichkeiten aus der Weltgeschichte durch die Zeit, um wenigstens ein bisschen Spass zu haben". "Ich wollte dir keinen Kummer machen." Aber ich bin noch nicht zu frieden. "Du bist eine Zeitmaschine, Maerchenfiguren sind aber keine realen Gestalten, du kannst sie gar nicht hierherbefoerdern" hake ich nach. Daraufhin kann sie auch nur mit den Schultern zucken und meint, dass das dann wohl mein Problem sei. Ich bedeute ihr kurz, zu warten, waehrend ich Schneewittchen auf den Sachverhalt hinweise. Diese antwortet nur "Ist das so?" und mit einem Plopp, den man eigentlich nur aus Situationen irgendwelche Sanitaeranlagen betreffend, kennt, loest sie sich in Luft auf. Und ueberall, wohin ich auch gucke, die ganze Zauberwaldmeute nirvanat sich hinfort.
"Das war ja einfach" - gratulier ich mir, aber so ganz behagt mir nicht, dass der liebe Gott sich auf meiner Flur immernoch mit Napoleon vergnuegt. Ich pflaume da kurz zwischen, dass ich ja wohl Atheist sei und wech ist er. So langsam beginne ich Freude an dem Spiel zu entwickeln und ueberlege mir, wie ich das demnaechst mal gewinnbringend einsetzen sollte, werde aber von einem wuetenden Anwalt und einem sitzengelassenen Feldherren bedraengt. Auch Goethe langweilt sich wieder und will am liebsten nach Hause. Is mir aber herzlich egal. Soll Einsteins Memoiren schreiben. Vorher soll der mir aber noch meine Klotuer wieder einhaengen. Hebelgesetze beherrscht er, muss ich zumindest neidlos anerkennen. Finde aber in Anbetracht der Tatsache, dass sich inziwschen zwischen Dschingis Khan und Stalin ein Faustkampf um das Privileg des grausamsten Herrschers entzuendet hat, das Karin erstmal beruhigt werden muss. Zum Glueck hab ich noch nen Anwalt in meiner Plattensammlung stehen, den ich mit der Aussicht auf ein Freibier auf die bekloppte Zeitmaschine loslassen kann.
Keine Minute spaeter ist die Kammer leer. Ich ueberleg noch schnell, ob ich diese Strategie auch fuer spaetere Dates benutzen koennte, aber irgendwas stimmt immer noch nicht. Findet Che Guevara auch. Klaus, so heisst der Anwalt, huestelt zweimal kurz pikiert und schon ist Karin wieder da, entfernt die verbliebenen Fremdpolitiker aus meinem Zimmer und ist auch gleich schon wieder verschwunden. So ganz ehrlich interessiert mich nicht, wie er sie losgeworden ist, denn er steht noch da. Ich bruell noch hinterher "Und der Jurist!?", aber keine Spur von Karin. Klaus guckt mich nur hinterhaeltig an und meint, er vertraete jetzt meinen neuen Mitbewohner, wobei er hoeflich auf das Muesli zeigt, vorhin haben wir Wahlrecht beantragt, aber alles weitere koennen wir ja bei nem Bier besprechen.