Wahle beobachte
Ich bin einer von denen. Einer von diesen Stressern, die herumfahren und dabei zugucken, wie andere Leute Wahlen abhalten. Wahlen mit Wahlcomputern, um genau zu sein. Und sich das dann alles aufschreiben und stumm nicken oder murmeln oder mit dem Kopf schuetteln.
Ich bin aber auch einer von denen, die dann im Namen des CCC an Pressemitteilungen schreiben und garstige Dinge ueber unsere Demokratie sagen. Und ueber die Wahlhelfer und die Ablaeufe und die Firmen, die versuchen, an der Wahl Geld zu verdienen.
Zwischen diesen Persoenlichkeiten klafft eine Luecke. Wenn ich da draussen in fremden Doerfern im Rathaus stehe, oder vor Politikern, mit denen ich eigentlich nichts zu tun habe, dann faellt mir die Artikulation ploetzlich schwer. Dann stehe ich naemlich genau den Leuten gegenueber, die ich doch eigentlich meine.
In dieser Konfrontation muss ich dann zu hoeflichen Floskeln greifen. Da stehe ich im Wahllokal vor den Wahlleitern. Dann muss ich Dinge sagen wie "natuerlich denke ich nicht, dass hier bei den Wahlen betrogen wird". Und das, wo ich doch eigentlich Dinge meine wie "Sie sind doch verdammt nochmal Beamter und haben einen Eid auf dieses Land geschworen und sollten sich darueber freuen, dass dieses Land Sie sicher und solide bezahlt und es sollte ihnen die zwei Stunden extra Auszaehlen wert sein."
Und dann stehe ich vor den Lokalpolitikern. Und da muss ich auch Dinge sagen wie "natuerlich denke ich nicht, dass hier bei den Wahlen betrogen wird". Und das, wo ich doch eigentlich Dinge meine wie "Woher zum Geier soll ich wissen, dass Sie nicht betruegen. Ich kenne sie doch gar nicht. Und ich kenne auch keinen der Wahlvorstaende hier. Und Sie sind verdammt nochmal in der gluecklichen Lage, das Vertrauen Ihrer Waehler zu geniessen und die Verantwortung, die diese an Sie delegiert haben. Und Sie sollten diese Legitimation ueber jeden Zweifel erhaben auch in der Wahl gewonnen haben."
Und dann sitze ich vor den Firmen, die den Gemeinden Wahlcomputer aller Coleur verkaufen wollen. Und dann sage so Dinge wie "Natuerlich denke ich nicht, dass ihre Wahlcomputer bei den Wahlen betruegen, aber..." Und das, wo ich doch eigentlich Dinge meine wie "Ihr wollt verdammt nochmal mit eurer Dilettantenhard- und software an der Demokratie verdienen. Und ihr werdet damit den Boesen Werkzeuge in die Hand geben, Wahlen zu ihrem Gunsten manipulieren zu koennen. Deswegen ist es eure Aufgabe, eine Transparenz herzustellen, die alle – und auch wirklich Alle – davon ueberzeugt, dass die Wahl demokratisch kein Rueckschritt ist."
Und es ist – nicht! nein! – nicht so, dass ich mich darauf zurueckziehen moechte, Dinge zu sagen wie "Aber was, wenn spaeter einmal jemand kommt, der das mit der Demokratie nicht so genau nimmt." Weder den Wahlhelfern, noch den Politikern, noch den Firmen. Weil es so ist, DASS sie es mit der Demokratie nicht so genau nehmen, wenn sie in einer stillschweigenden Bequemlichkeitskonspiration Zeit gegen Geld eintauschen, das nicht ihr eigenes ist. Weil ich nicht den geringsten Grund habe, diesen Leuten dort heute mehr zu vertrauen, als potentiellen nachfolgenden Generationen von korrupten Politikern, Beamten oder Firmen. Weil die Zeitung schon heute voll ist mit Berichten ueber korrupte Politiker, Beamte und Firmen.
Und dann sollte mich der gemuetliche Strickpulli und der Schnauzbart und die korrekte Brille meines Gegenuebers nicht davon abhalten, meine grundsaetzliche Distanz beizubehalten. Und meine Bescheidenheit sollte mich auch nicht davon abhalten, von den Damen und Herren die Mehrarbeit einzufordern, die eine wehrhafte Demokratie nun eben kostet und die im Kleinen anfaengt. Die dort beginnt, wo man der vielbeschworenen Verdrossenheit ein Zeichen entgegensetzt. Dass man es naemlich doch noch genau nimmt mit den Wahlen.
Und ich sollte meinen dicksten Pullover anziehen und Euch das auch mal ins Gesicht sagen. Werd' ich aber nicht machen. Aber ich werde mich natuerlich wieder als Wahlhelfer melden.