Bezahlwand
In einem gar nicht so weit entfernten alternativen Zeitstrahl:
Es ist Samstag morgens. Wie gewohnt bin ich mit meiner Schubkarre zum Zeitungskiosk, um mir die Wochenendausgabe zu holen. In letzter Zeit ging es den Printmedien nicht so gut, ich weiß. Aber so langsam bin ich doch genervt.
Gut, dass die Werbeeinlagen immer mehr wurden, um den massiven Verfall der Kioskkunden und Abonnenten aufzufangen, kann ich verstehen. Guter Journalismus ist eben teuer. Klar, auch die Hochglanz-Binder in Quellekatalog-Stärke halten für mich viele interessante Produktinformationen bereit. Ein wenig zeitraubend ist das Blättern durch die auf bis zu mehreren Dutzend Werbeblätter verteilten redaktionellen Beiträge schon, sicher. Für die inzwischen mit 127 dB krakelenden Bordellwerbegrußkärtchen mit lasziven Stöhne-Aufnahmen habe ich mir so Schallschutztütchen besorgt. Wegen der Nachbarn und der Kinder. Und die kleinen schwarzen unauffälligen Beileger, wo die Stereoanlage dann immer so buppert, also diese Beileger mit den Löchlein, die angeblich Fotos von der Kreditkarte nach China schicken, da scheint die schwarze Sichtschutzfolie nicht mehr zu helfen, die ich normalerweise drumgewickelt habe. Dafür kommen die jetzt gleich mit Bleiakkus, damit die Röntgenautomatik und das Satellitenmodem genug Saft hat – daher die Schubkarre.
Nun, hier hätte ich mir schon langsam gewünscht, ich hätte den ganzen Werbekram am Kiosk in den Müll werfen dürfen. Hat aber das Beugegericht Hamburg vor fünf Jahren verboten. Gut, da konnten sie auch nicht ahnen, dass das Druckpapier der Broschüren Krebs auslösen kann und lauter Gimmicks ungefragt Bilder in alle Zimmerecken projizieren und den Sender auf der Stereoanlage verstellen können. Und immer wenn man beim Umblätter einen der um den ganzen Rand drapierten "Jetzt kostenpflichtig bestellen"-Knöpfe berührt, steht keine zwei Minuten später das Inkassounternehmen für das angelieferte und gleich wieder abgeholte Luxussofa vor der Tür.
Das passiert immer häufiger, seit der Pupillen-Tracker gleich eingebaut ist. Damit wird überprüft, ob ich auch vor dem Weiterblättern mindestens auf drei Produktinfos geschaut habe, sonst kann man ja sowieso nicht weiterlesen.
Naja, und dass einige besonders schlecht gelötete Exemplare ab und zu mal Wohnungen niederbrennen, muss man im Zweifel in Kauf nehmen, um für unsere Nachrichtenlandschaft und den unaufhaltsamen Informationsdrang des Kapitalismus das Schmiermittel bereitzustellen.
Aber das ist eben der Preis, wenn alle anderen keine Lust mehr haben, für gut recherchierte Artikel auch zu bezahlen.