Gewissensbits
Gestern erreichte mich eine freundliche E-Mail eines Juristen, der in der Legal-Tech-Szene aktiv ist. Darin erklärte er, Teil eines Teams zu sein, das im Februar überraschend mit seinem Projekt einen Hackathon gewonnen hätte. Das dort entstandene Tool "Dickstinction" wurde am Tag der E-Mail bei Netzpolitik behandelt. In der Folge wurden ihm Hinweise zugetragen, nach denen eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Abmahnbeantworter des CCC unverkennbar ist. Der wird in dem Artikel bei netzpolitik.org erwähnt, allerdings fälschlicherweise in eine Reihe gestellt mit kommerziellen Projekten. Der Abmahnbeantworter hat aber kein Geschäftsmodell, sondern ist ein kostenloses Angebot an Betroffene von unberechtigten Abmahnungen.
In der E-Mail entschuldigte sich der Jurist freundlich für die ungefragte Übernahme des Konzepts und bot an, nachträglich einen Hinweis auf den Ideengeber (also uns) auf die Webseite von Dickstinction zu schreiben und unser Projekt fortan in Interviews zu erwähnen, da sich das Team ja stark an der Vorlage des Abmahnbeantworters orientiert habe. Genaues wisse er nicht, da er kein Programmierer sei, aber er wolle auf jeden Fall bescheidgeben und nach meiner Meinung fragen. Soweit total korrekt.
Der Abmahnbeantworter wurde vor vier Jahren – unter juristischer Beratung von RAin Beata Hubrig und durch Umsetzen des Interface- und Usability-Designs von Malik Aziz – nach mehreren Monaten harten Lernens und Testens entwickelt. Ich bin tatsächlich kein Webprogrammierer, sondern eher in C/C++/Assembler zuhause, weswegen der Lernprozess zeitintensiv war. Daher war ich natürlich erstmal interessiert, welche Aspekte des Abmahnbeantworters wohl übernommen worden waren, auch um eventuell selber Ideen für Verbesserungen aufzuschnappen – Konkurrenz belebt ja das Geschäft. Eine kurze Inspektion der Web-Resourcen des Dickstinction-Projekts hat mich dann doch ehrlich erschüttert: Man muss schlicht nur deren main.js gegen unsere abmahn.js halten oder die Strukturen der jeweiligen HTML-Seiten oder das CSS vergleichen, um in Abgründe zu sehen, derer sich wohl einzig von Guttenberg nicht schämen würde.
In der FAQ von Dickstinction wird neben einem Vorstellungsvideo die Genese des Dickstinction-Projekts kurz umrissen:
"Dickstinction haben wir im Februar 2020 im Rahmen des Berlin Legal Hackathon 2020 in weniger als 24h programmiert und damit den ersten Preis gewonnen."
Dazu kann ich nur sagen: Nein, habt ihr nicht! Programmieren bedeutet eine recht langwierige Arbeit mit Nachdenken, Selbstkorrektur, manchmal ein bisschen Schweiß. Kopieren ist hingegen schnell erledigt.
Während mir Euer Projekt-Konzept wirklich schwer am Herzen liegt und es mir schon jetzt die Tränen in die Augen treibt, sollte dieser Rant hier dem Projekt schaden, fühlt es sich unendlich mies an, wenn sich (laut der E-Mail zwei) Entwickler für die Präsentation eines dreisten Plagiats beklatschen lassen, in dessen Original ich ehrenamtlich viel Herzblut, monatelange Arbeit und Koordinationsaufwand gesteckt habe. Daher weiß ich übrigens auch, dass man sowas nicht mal eben in einem 24-Stunden-Hackathon runterschreibt. Ich weiß zwar nicht, wer aus der Liste in der FAQ genau die Programmierer sind, die sich an meinem Code bedient haben, aber ich sehe hier erstmal mehrere Probleme, die das Dickstinction-Projekt nun intern klären muss.
Das alles wirft einen schweren Ballast auf meinen Eifer und mein ehrenamtliches Engagement, vor allem, weil vor drei Jahren bereits ein anderes meiner Open-Source-Projekte als Voll-Plagiat neu-veröffentlicht und vom Plagiator auch noch öffentlich auf allen Kanälen beworben wurde: Das hatte ich damals in einem Blog-Post zu ezjail vs qjail niedergeschrieben.
Ich habe dem Verfasser der E-Mail geantwortet und meine Gedanken dargelegt.
Zuerst: Ich persönlich bin eigentlich kein Web-Programmierer, daher macht es mir eher Angst, wenn mein Web-Code von Leuten verwendet wird, die von den intrinsischen Annahmen über dessen Verwendung wenig Ahnung haben. Es ist eben keine Software-Bibliothek, was sich auch in der eher unterdurchschnittlichen Kommentierung und Dokumentation niederschlägt. Weil es eben nicht zum Wiederverwenden gedacht war, habe ich mir auch keine Gedanken um eine Lizenz gemacht. Ich bin schlicht nicht davon ausgegangen, dass sich jemand daran "orientiert" oder es eben komplett kopiert.
Das bringt mich nun in eine blöde Lage. Normalerweise veröffentliche ich meine Open-Source-Projekte (https://erdgeist.org so der Abschnitt links) unter der Beerware-Lizenz https://erdgeist.org/beerware.html, was grundsätzlich Public-Domain mit der Ausnahme Namensnennung ist. Am Projekt selber steht aus o. g. Gründen keine Lizenz dran, was grundsätzlich ja erstmal bedeutet, dass wir am Code volles Urheber- und Verwertungsrecht haben. Natürlich wollen wir das nicht hart geltend machen, aber … als Open-Source-Coder hat man quasi nicht viel außer Reputation, und es fühlt sich nicht cool an.
Was mich noch mehr bewegt, IHR müsst ja erstmal irgendwie damit umgehen, dass ihr mit einem Plagiat Eurer beiden Entwickler einen ersten Platz bei einem Hackathon belegt habt. Das schmälert nicht die Leistung derer, die am Ende die Projekt-Idee entwickelt haben. Aber ich denke, für den Gewinn eines Hackathons sollten die Programmierer schon ein bisschen mehr vorzuweisen haben als "ich habe ein fremdes Projekt genommen, andere Farben rangemacht und meinen Namen drangeschrieben".
Es gibt außer sonst nur leichten optischen Änderungen übrigens eine nicht ganz unwichtige Abweichung zwischen dem Abmahnbeantworter und Dickstinction: Die gloriosen Hackathon-Gewinner haben sich immerhin die Zeit genommen, das Google-Tracking (firebase) zu integrieren. Ob das eine gute Idee ist, die Penisbilder-Informationen in die Vereinigten Staaten zu übermitteln, will ich nicht weiter kommentieren. Selbstverständlich findet beim Abmahnbeantworter keinerlei Tracking statt.
Ich werde rechtlich nicht gegen das Projekt vorgehen, sondern unterstütze die Intention weiterhin. Aber diese Art, für den billigen Ruhm beim Hackathon bei anderen Leuten zu klauen, darf nicht zum Standard werden. Deswegen kann ich auch nicht dazu schweigen, wenn ich derjenige bin, von dem dreist kopiert wurde. Ich denke sogar: Man darf dazu nicht schweigen, denn dann machen solche Leute einfach weiter wie bisher.
Und während in der E-Mail noch der Hinweis auf den nichtkommerziellen Hintergrund des Projekts kam:
Wie ihr sehen könnt, dient die nicht-kommerzielle Seite einem guten Zweck, weshalb wir uns über die Nutzungsmöglichkeit sehr freuen würden!
, deutet die Übergabe des Gewinnerschecks in Höhe von 2000 € darauf hin, dass sich die Projektbeteiligten das eine oder andere Spielzeug shoppen gehen konnten. Natürlich kommt es mir nicht darauf an, das Geld jetzt selber einzustreichen, aber ich habe so ein Bauchgefühl, wo es korrekterweise nicht hingehört. Und auch für die Zukunft würde ich mir wünschen, dass der Austausch mit Unternehmen für weitere Features den "nicht-kommerziellen" Hintergrund des Projekts nicht korrumpiert.
Im selben Interview finden sich auch besorgniserregende Informationshäppchen. Die verklausulierte Perspektive:
Rein rechtlich finden wir diesen aber besonders spannend, weil man sich auf elegante Weise den Möglichkeiten des Strafprozessrechts bedienen kann, um einen zivilrechtlichen Anspruch durchzusetzen.
bedeutet letztendlich nichts anderes, als auf dem automatisierten Generator ein eigenes kostenpflichtiges Abmahn-Modell zu begründen. Ein zuckersüßes Sahnehäubchen ins Gesicht unserer ursprünglichen Bemühungen, den Abmahnwahn einzudämmen.
Was die Mädels und Jungs bei Dickstinction jetzt draus machen, wird sich zeigen.
Update
Inzwischen habe ich von einem der Programmierer, Stefan B, eine E-Mail bekommen, in der er die Geschichte als kleines Versehen abtut und mich bittet, doch nachträglich die Engine als Open-Source-Projekt zu veröffentlichen und ihnen die Nutzung zu erlauben.
Was hältst du davon den Code der Seite unter einer Open-Source Lizenz zu veröffentlichen, sodass jeder diesen nutzten und weiterentwickeln kann?