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1title: PTB bestätigt Nichteignung - Wahlcomputer grundsätzlich unsicher
2date: 2006-11-13 00:00:00
3updated: 2009-04-18 19:12:39
4author: presse
5tags: update
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8Der Chaos Computer Club (CCC) begrüsst die bei der Physikalisch-
9Technischen Bundesanstalt (PTB) aufgekommenen grundsätzlichen Zweifel
10an der Verwendbarkeit von Wahlcomputern. Die Grundlage der
11Bauartzulassung für den Einsatz der Computer bei Wahlen ist damit als
12hinfällig zu betrachten.
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17Noch im Oktober mochte der für die Zulassung der Wahlcomputer zuständige
18Fachbereichsleiter der PTB, Dieter Richter, keine praktischen
19Möglichkeiten zur Manipulation von Wahlcomputern sehen. Gegenüber der
20Zeitschrift c't und der Nachrichtenagentur AP musste er nun allerdings
21in einem Interview einräumen, dass Wahlcomputer grundsätzlich
22manipulierbar sind. Damit bestätigte er entsprechende Ergebnisse des
23CCC.
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25Richter bekräftigte, dass die vom CCC nachgewiesenen Unsicherheiten und
26Manipulationsmöglichkeiten praktisch anwendbare Szenarien sind, welche
27die Sicherheit deutscher Wahlen real gefährden. "Es gibt bei diesem
28Konzept keinen absoluten Schutz gegen Insider-Angriffe," sagte Richter.
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30Solche Innentäter sind mit Abstand das wahrscheinlichste
31Angriffsszenario. So wurde 2002 in Dachau aufgedeckt, dass mehrere
32Kommunalwahlen von Mitgliedern der örtlichen CSU manipuliert wurden.
33Ohne die Möglichkeit der nachträglichen Auszählung der Wahlzettel wäre
34der Betrug nicht nachweisbar gewesen - eine Möglichkeit, die bei
35Wahlcomputern nicht mehr gegeben ist. Der Wahlskandal von Dachau wäre
36mit Nedap-Maschinen niemals aufgeflogen.
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38Richter sagte zur bisherigen Haltung des Innenministeriums, dass die
39Wahlcomputer hinreichend manipulationssicher seien: "Wir würden jetzt,
40in dieser neuen Lage, dem Ministerium nicht mehr raten, die Erklärung
41ohne Einschränkung abzugeben."
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43Die Ansicht der PTB, dass erst durch die Publikation der Funktionsweise
44der Wahlcomputer im Rahmen der CCC-Analyse eine "neue Situation"
45entstanden sei, wirft allerdings ein erschreckendes Licht auf die
46Sicherheitsphilosophie der Behörde. "Ob man nun in Zukunft grundsätzlich
47und generell ausschließen muss, jemals wieder Elektronik bei Wahlen
48einzusetzen, die nach dem Prinzip Security by Obscurity operiert, möchte
49ich nicht abschließend beurteilen. Ich kann mir bestimmte Umstände
50vorstellen, unter denen dies vorstellbar ist," sagte Richter. Welche
51Umstände das sein könnten, ließ er bezeichnenderweise offen - als Bürger
52möchte man sich das ungern ausmalen. Er räumte immerhin ein, dass
53"'Security by Obscurity' aus IT-Sicherheitssicht nicht das Idealkonzept
54ist."
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56Es stellt sich nun die Frage, warum die Oberbürgermeisterwahl in Cottbus
57im Oktober 2006 und die Bundestagswahl 2005 mit Wahlcomputern
58stattfanden, deren Manipulierbarkeit jedem Fachmann offensichtlich und
59klar ist. Für beide Wahlen sind Einsprüche wegen der Verwendung der
60zweifelhaften Wahlcomputer anhängig. "Bisher gibt es keine Erkenntnisse
61über Manipulationsversuche an Wahlgeräten in Deutschland," sagte Richter
62gegenüber der c't. Angesichts der schwerwiegenden Mängel in den
63Prüfmethoden der PTB bei der Bauartzulassung der Wahlcomputer ist nicht
64zu erwarten, dass sie eine geschickte Manipulation tatsächlich erkennen
65und aufdecken könnte.
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67Richter betonte in dem Interview, dass trotz der technischen Mängel das
68Gesamtpaket an Sicherheitsmaßnahmen eine manipulationsfreie Wahl
69garantieren könne. Doch schon die Annahme von Richter, dass "die Geräte
70sicher bei den Kommunen verwahrt" seien, zeugt von einer beängstigenden
71Realitätsferne, wie die [Wahlbeobachtung des CCC in
72Cottbus](/de/updates/2006/bericht-ob-wahl-cottbus) gezeigt hat.
73[\[1\]](/de/updates/2006/bericht-ob-wahl-cottbus) Die sichere Verwahrung
74der Wahlcomputer ist außerdem gar nicht zwingend vorgeschrieben, sondern
75eine freiwillige Leistung der Kommunen, wie Richter ganz richtig
76bemerkte. Angesichts der momentan stattfindenden Ausleihe hunderter
77Wahlcomputer in die Niederlande kann von einer "durchgehend sicheren
78Verwahrung" ohnehin nicht mehr die Rede sein. Das Bundesinnenministerium
79wurde erst vom CCC über die Verbringung der Nedap-Computer ins Ausland
80informiert, die in Eigenregie der Gemeinden stattfindet.
81
82Bezüglich der Abstrahlungen der Wahlcomputer gab Richter zu, dass nur
83die allgemeine elektromagnetische Verträglichkeit getestet wurde.
84Gezielte Tempest-Angriffe, mit denen es möglich ist, den Wahlvorgang
85"abzuhören", wurden nicht erprobt. Als Begründung für diesen Umstand
86sagte Richter, dass erste Messungen für "vernachlässigbar" und
87"unkritisch" gehalten wurden. Dass noch aus 25 Metern Entfernung
88zumindest bei einigen Geräteserien problemlos abgehört werden kann,
89zeigten erst die [Ergebnisse des CCC.
90\[2\]](http://www.youtube.com/watch?v=B05wPomCjEY)
91
92Die Frage danach, welche Bauartunterschiede zwischen den deutschen und
93holländischen Computern bestehen, beantwortete der Experte
94folgendermaßen: "Wir vermuten, haben aber keinen Beleg dafür, dass es
95unterschiedliche Produktionsserien beim Hersteller gibt, und dass der
96holländischen Initiative ältere, weniger gut geschirmte Geräte zur
97Verfügung standen." Dass die PTB nicht einmal solch grundlegende
98Informationen über die Wahlcomputer hat, zeigt einmal mehr, dass diese
99wichtigen Funktionen der Demokratie nicht an irgendeinen
100Apparate-Hersteller delegiert werden dürfen.
101
102Dass Nedap und die PTB sich erdreisten, die technischen Einzelheiten und
103Prüfberichte der Wahlcomputer und ihrer Evaluierung geheimzuhalten, ist
104ein grundlegender Verstoß gegen das Transparenzgebot für Wahlen. Richter
105erklärte dazu unverblümt: "Prüfberichte sind nicht als Beschreibung
106angelegt, wie die Prüfung durchgeführt wurde, um sie für Dritte
107verständlich und nachvollziehbar zu machen, oder dass Außenstehende die
108Qualität oder den Inhalt der Prüfung bewerten können." Hier offenbart
109sich eine grundlegende Fehlkonstruktion, die im Hinblick auf die
110Sicherheit freier Wahlen ein unhaltbarer Zustand ist.
111
112Richter beklagte in dem Interview die mangelnde Kooperation des Chaos
113Computer Club, den er "diesbezüglich konsultiert" habe. Der CCC zeigt
114sich von dieser Aussage überrascht, da bisher weder beim CCC noch bei
115der holländischen Initiative "Wij vertrouwen stemcomputers niet" eine
116offizielle Kooperationsanfrage eingegangen ist. Ein vom CCC initiiertes
117informelles Treffen wurde seitens der PTB leider auf unbestimmte Zeit
118verschoben. Nachdem der CCC mit seiner Analyse schon die Arbeit der PTB
119erledigt hat, ist er natürlich auch weiterhin gern gesprächsbereit. Ziel
120einer Kooperation kann jedoch nicht das Flicken von Löchern an einem
121prinzipiell unsicheren System sein. Einzig eine grundsätzliche
122Abschaffung der Wahlcomputer löst das Problem.
123
124Richter erkannte ganz richtig: "E-Voting - in welchen Formen auch immer
125- ist nicht nur eine technische Frage, sondern auch eine Frage des
126Vertrauens in das, was für den Wähler nicht mehr transparent
127nachvollziehbar ist." Er führte dazu weiter aus: "Es reicht nicht, ein
128von Spezialisten nachvollziehbares, sicheres technisches System zu
129haben." Jedoch sind weder die Nachvollziehbarkeit noch die technische
130Sicherheit der Computer gegeben, wie Richter zuvor selbst einräumen
131musste. Der Chaos Computer Club fordert daher weiterhin die sofortige
132Rücknahme der Bauartzulassung und gleichzeitig die endgültige
133Abschaffung der rechtlichen Möglichkeit, Computer zur Stimmabgabe bei
134Wahlen in Deutschland zuzulassen.
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136Dass Deutschland mit Wahlcomputer-Problemen nicht alleine steht, zeigten
137auch die Nachrichten der letzten Woche: Etwa die Hälfte der
138wahlberechtigten US-Amerikaner haben ihre Stimme mit Wahlcomputern
139abgegeben. Massive Zweifel an deren Sicherheit waren bereits vor der
140Wahl öffentlich geworden. Das [vielgestaltige Versagen
141\[3\]](http://news.google.com/news?ned=us&q=%22voting+machine%22+problem)
142der Wahlcomputer bei den jüngsten Wahlen in den USA sollte eine
143deutliche Warnung vor der massenhaften Einführung solcher Computer zur
144Stimmabgabe in Deutschland sein.
145
146Die [Petition gegen Wahlcomputer \[4\]](/de/petition) , in der die
147Abschaffung des § 35 Bundeswahlgesetz (Stimmabgabe mit Wahlgeräten)
148gefordert wird, hat mittlerweile über 32.000 Mitzeichner. Gerade jetzt
149zählt jede Stimme!
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151Für weitere Fragen und Interviewwünsche steht das Presseteam des CCC
152gerne zur Verfügung. Es ist per eMail an [presse\@ccc.de](presse@ccc.de)
153zu erreichen. Telefonisch steht außerdem Florian Holzhauer, einer
154unserer Sprecher, unter der Nummer 0157 738 242 67 zur Verfügung.
155
156- \[1\]
157 [http://www.ccc.de/updates/2006/bericht-ob-wahl-cottbus](/de/updates/2006/bericht-ob-wahl-cottbus)
158- \[2\] <http://www.youtube.com/watch?v=B05wPomCjEY>
159- \[3\]
160 <http://news.google.com/news?ned=us&q=%22voting+machine%22+problem>
161- \[4\] [http://www.ccc.de/petition](/de/petition)