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1title: Gemeinsame Erklärung zivilgesellschaftlicher Organisationen: Staaten müssen beim Einsatz digitaler Überwachungstechnologien zur Bekämpfung von Pandemien die Menschenrechte achten
2date: 2020-04-03 00:01:03
3updated: 2020-04-03 00:01:03
4author: 46halbe
5tags: update, pressemitteilung
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7Die COVID-19-Pandemie ist ein globaler Gesundheitsnotstand, der eine koordinierte und groß angelegte Reaktion aller Regierungen weltweit erfordert. Die Anstrengungen der Staaten, das Virus einzudämmen, dürfen jedoch nicht in eine neue Ära der invasiven digitalen Überwachung münden.
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9<!-- TEASER_END -->
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11Wir als unterzeichnende Organisationen fordern die Regierungen
12nachdrücklich auf, bei der Bekämpfung der Pandemie sicherzustellen, dass
13der Einsatz digitaler Technologien zur Verfolgung und Überwachung von
14Einzelpersonen und Bevölkerungsgruppen streng im Einklang mit den
15Menschenrechten erfolgt.
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17Technologie kann und soll bei diesen Anstrengungen, Leben zu retten,
18eine wichtige Rolle spielen, etwa bei der Verbreitung von Nachrichten zu
19Gesundheitsthemen und bei der Verbesserung des Zugangs zur
20Gesundheitsversorgung. Eine Zunahme von nicht freiwilligen digitalen
21Überwachungsbefugnissen des Staates, wie beim Zugang zu den
22Standortdaten von Mobiltelefonen, bedroht jedoch die Privatsphäre, die
23Meinungs- und Versammlungsfreiheit in einer Weise, die Rechte verletzen
24und das Vertrauen in die Behörden herabsetzen könnte – und damit die
25Wirksamkeit jeglicher Maßnahmen im Bereich des Gesundheitswesens
26untergräbt. Solche Maßnahmen stellen auch ein Risiko der Diskriminierung
27dar und können bereits marginalisierte Gemeinschaften unverhältnismäßig
28schaden.
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30Es sind außergewöhnliche Zeiten, aber die Menschenrechte gelten nach wie
31vor. Die Struktur der Menschenrechte ist in der Tat so gestaltet, dass
32die verschiedenen Rechte sorgfältig ausbalanciert werden können, um
33einzelne Personen und die Gesellschaft insgesamt zu schützen. Dabei
34können Staaten Rechte wie die Privatsphäre und die Meinungsfreiheit
35nicht einfach im Rahmen der Bewältigung einer Krise im Bereich des
36Gesundheitswesens missachten. Vielmehr wird durch einen Schutz der
37Menschenrechte auch das Gesundheitswesen gestärkt. Mehr denn je müssen
38die Regierungen jetzt rigoros sicherstellen, dass jegliche Einschränkung
39dieser Rechte mit den seit langem bestehenden Menschenrechtsstandards in
40Einklang steht.
41
42Diese Krise bietet eine Gelegenheit, unsere gemeinsame Menschlichkeit zu
43demonstrieren. Wir können außerordentliche Anstrengungen zur Bekämpfung
44dieser Pandemie unternehmen, die mit den Menschenrechtsstandards und der
45Rechtsstaatlichkeit in Einklang stehen. Die Entscheidungen der
46Regierungen, um der Pandemie zu begegnen, werden das zukünftige Aussehen
47der Welt prägen.
48
49Wir rufen alle Regierungen auf, auf die COVID-19-Pandemie nicht mit
50einer verstärkten digitalen Überwachung zu reagieren, es sei denn, die
51folgenden Bedingungen sind erfüllt:
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531. Überwachungsmaßnahmen, die zur Bewältigung der Krise angewandt
54 werden, müssen rechtmäßig, notwendig und verhältnismäßig sein. Sie
55 müssen gesetzlich vorgesehen und durch berechtigte Ziele der
56 öffentlichen Gesundheit, die von den zuständigen Gesundheitsbehörden
57 festgelegt werden, gerechtfertigt sein und in einem angemessenen
58 Verhältnis zu diesen Bedürfnissen stehen. Die Regierungen müssen die
59 von ihnen ergriffenen Maßnahmen transparent machen, damit sie
60 überprüft und gegebenenfalls später geändert, zurückgezogen oder
61 aufgehoben werden können. Wir dürfen nicht zulassen, dass die
62 COVID-19-Pandemie als Vorwand für eine wahllose Massenüberwachung
63 dient.
642. Wenn Regierungen ihre Überwachungs- und Kontrollbefugnisse
65 ausweiten, dann müssen diese Befugnisse zeitlich begrenzt sein und
66 dürfen nur so lange fortbestehen, wie es nötig ist, um die aktuelle
67 Pandemie zu bekämpfen. Wir können nicht zulassen, dass die
68 COVID-19-Pandemie als Vorwand für Überwachung auf unbestimmte Zeit
69 dient.
703. Staaten müssen sicherstellen, dass eine verstärkte Sammlung,
71 Speicherung und Aggregation von persönlichen Daten, einschließlich
72 Gesundheitsdaten, nur für die Zwecke der Bewältigung der
73 COVID-19-Pandemie erfolgt. Daten, die zur Bewältigung der Pandemie
74 gesammelt, aufbewahrt und aggregiert werden, müssen in ihrem Umfang
75 begrenzt und zeitlich auf die Pandemie bezogen sein und dürfen nicht
76 für kommerzielle oder andere Zwecke verwendet werden. Wir können
77 nicht zulassen, dass die COVID-19-Pandemie als Vorwand dient, um das
78 Recht des Einzelnen auf Privatsphäre auszuhöhlen.
794. Die Regierungen müssen alle Anstrengungen unternehmen, um die Daten
80 der Menschen zu schützen, einschließlich der Gewährleistung einer
81 ausreichenden Sicherheit aller gesammelten persönlichen Daten und
82 aller Geräte, Anwendungen, Netzwerke oder Dienste, die an der
83 Sammlung, Übertragung, Verarbeitung und Speicherung der Daten
84 beteiligt sind. Alle Behauptungen, dass Daten anonym sind, müssen
85 auf Beweisen beruhen und mit ausreichenden Informationen darüber,
86 wie sie anonymisiert wurden, untermauert werden. Wir können nicht
87 zulassen, dass Versuche, auf diese Pandemie zu reagieren, als
88 Rechtfertigung für die Gefährdung der digitalen Sicherheit der
89 Menschen benutzt werden.
905. Jeglicher Einsatz von digitalen Überwachungstechnologien zur
91 Bewältigung von COVID-19, einschließlich Big Data und Systemen der
92 Künstlichen Intelligenz, muss sich mit dem Risiko befassen, dass
93 diese Instrumente die Diskriminierung und andere Rechtsverletzungen
94 gegen Minderheiten, in Armut lebende Menschen und andere
95 marginalisierte Bevölkerungsgruppen erleichtern, deren Bedürfnisse
96 und Lebensrealitäten in großen Datensätzen möglicherweise verdeckt
97 oder falsch dargestellt werden. Wir können nicht zulassen, dass die
98 COVID-19-Pandemie die Kluft in der Wahrnehmung der Menschenrechte
99 zwischen verschiedenen Gruppen der Gesellschaft weiter vergrößert.
1006. Wenn Regierungen mit anderen öffentlichen oder privaten
101 Einrichtungen Vereinbarungen über die gemeinsame Nutzung von Daten
102 treffen, müssen diese auf einer Rechtsvorschrift beruhen, und die
103 Existenz dieser Vereinbarungen und die zur Beurteilung ihrer
104 Auswirkungen auf die Privatsphäre und die Menschenrechte
105 erforderlichen Informationen müssen öffentlich bekannt gegeben
106 werden – schriftlich, mit Verfallsklauseln, öffentlicher Aufsicht
107 und anderen Schutzmaßnahmen als Vorgabe. Unternehmen, die an den
108 Anstrengungen der Regierungen zur Bekämpfung von COVID-19 beteiligt
109 sind, müssen mit der erforderlichen Sorgfalt sicherstellen, dass die
110 Menschenrechte respektiert werden und jede Intervention von anderen
111 geschäftlichen und kommerziellen Interessen abgewehrt wird. Wir
112 können nicht zulassen, dass die COVID-19-Pandemie als Vorwand dafür
113 dient, die Menschen im Dunkeln zu lassen, welche Informationen ihre
114 Regierungen sammeln und an Dritte weitergeben.
1157. Jede Reaktion muss eine Rechenschaftspflicht und Schutzmaßnahmen
116 gegen Missbrauch beinhalten. Verstärkte Überwachung im Zusammenhang
117 mit COVID-19 darf nicht in den Bereich der Sicherheits- oder
118 Geheimdienstbehörden fallen und muss einer wirksamen Aufsicht durch
119 geeignete unabhängige Gremien unterliegen. Darüber hinaus müssen
120 auch Einzelpersonen die Möglichkeit erhalten, von allen Maßnahmen,
121 mit denen Daten im Zusammenhang mit COVID-19 gesammelt, aggregiert,
122 gespeichert oder genutzt werden, zu erfahren und diese anzufechten.
123 Personen, die einer Überwachung unterzogen wurden, müssen Zugang zu
124 wirksamen Rechtsmitteln haben.
1258. Reaktionen auf COVID-19, bei denen Daten erhoben werden, sollten
126 Mittel für eine freie, aktive und sinnvolle Beteiligung relevanter
127 Interessengruppen, insbesondere von Experten des Gesundheitswesens
128 und der am stärksten marginalisierten Bevölkerungsgruppen, vorsehen.
129
130[Alle
131Unterzeichner](https://www.hrw.org/news/2020/04/02/joint-civil-society-statement-states-use-digital-surveillance-technologies-fight)
132dieser gemeinsamen Erklärung.