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title: Chaos Computer Club unterzeichnet Offenen Brief an die Bundesjustizministerin
date: 2010-04-20 07:12:00
updated: 2010-05-14 12:10:36
author: 46halbe
tags: update, pressemitteilung, vds, vorratsdatenspeicherung
Der Chaos Computer Club (CCC) unterstützt nachdrücklich das Anliegen des Offenen Briefes und setzt sich für das Recht für jedermann ein, weiterhin unbeobachtet und frei kommunizieren zu können. Nachdem die Vorratsdatenspeicherung in Deutschland als verfassungswidrig verworfen wurde, ist es Aufgabe der Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, sich dafür einzusetzen, daß endlich auch die EU-Richtlinie abgeschafft wird.
<!-- TEASER_END -->
Der CCC-Sprecher Andreas Bogk kommentiert: "Es ist an der Zeit, den
Irrweg einer verdachtslosen Speicherung der Kommunikations- und
Lokationsdaten aller Menschen zu beenden und die Überwachungsregelungen
nun auf europäischer Ebene zu kippen. Eine europaweite Vereinheitlichung
des Quick-Freeze-Verfahrens ist und bleibt für die Strafverfolgung
zielführender als die pauschale Verdächtigung aller Bürger. Wir fordern
von der FDP das, was sie vor der Wahl versprochen hat – die Bürgerrechte
zu stärken. Und dazu gehört ein klares Nein zur Vorratsdatenhaltung."
\
\
Der **Brief an die Bundesjustizministerin** vom 19. April 2010 im
Wortlaut:\
\
Bundesministerin der Justiz\
Frau Sabine Leutheusser-Schnarrenberger\
Mohrenstraße 37\
10117 Berlin\
\
Sehr geehrte Frau Bundesministerin,\
\
kaum hat das Bundesverfassungsgericht am 2. März 2010 die deutschen
Vorschriften zur Vorratsdatenspeicherung für verfassungswidrig und
nichtig erklärt, wird von nicht Wenigen die Wiedereinführung einer
Vorratsdatenspeicherung gefordert.\
\
Eine EU-Richtlinie aus dem Jahr 2006 sieht vor, daß
Telekommunikationsunternehmen verpflichtet werden sollen, Daten über die
Kommunikation ihrer Kunden auf Vorrat zu speichern. Zur verbesserten
Strafverfolgung soll nachvollziehbar sein, wer mit wem in den letzten
sechs Monaten per Telefon, Handy oder E-Mail in Verbindung gestanden
hat. Bei Handy-Telefonaten und SMS soll auch der jeweilige Standort des
Benutzers festgehalten werden. In Verbindung mit anderen Informationen
soll zudem die Nutzung des Internets nachvollziehbar sein.\
\
Eine derart weitreichende Registrierung des Verhaltens der Menschen in
Deutschland halten wir für inakzeptabel. Im Zuge einer
Vorratsdatenspeicherung werden ohne jeden Verdacht einer Straftat
sensible Informationen über die sozialen Beziehungen (einschließlich
Geschäftsbeziehungen), die Bewegungen und die individuelle
Lebenssituation (z. B. Kontakte mit Ärzten, Rechtsanwälten,
Betriebsräten, Psychologen, Beratungsstellen) von über achtzig Millionen
Bundesbürgerinnen und Bundesbürgern gesammelt. Damit höhlt eine
Vorratsdatenspeicherung Anwalts-, Arzt-, Seelsorge-, Beratungs- und
andere Berufsgeheimnisse aus und begünstigt Datenpannen und -mißbrauch.
Sie untergräbt den Schutz journalistischer Quellen und beschädigt damit
die Pressefreiheit im Kern. Sie beeinträchtigt insgesamt die
Funktionsbedingungen unseres freiheitlichen demokratischen Gemeinwesens.
Die enormen Kosten einer Vorratsdatenspeicherung unter Beachtung der
verfassungsrechtlichen Vorgaben steigen gegenüber den bisherigen
Schätzungen deutlich und sind ohne Erstattungsregelung von den über
sechstausend betroffenen Telekommunikationsunternehmen in Deutschland zu
tragen. Dies zieht Preiserhöhungen nach sich, führt zur Einstellung von
Angeboten und belastet mittelbar auch die Verbraucher.\
\
Untersuchungen belegen, daß bereits die gegenwärtig verfügbaren
Kommunikationsdaten ganz regelmäßig zur effektiven Aufklärung von
Straftaten ausreichen. Es ist nicht nachgewiesen, daß eine
Vorratsdatenspeicherung besser vor Kriminalität schützte. Dagegen kostet
sie Millionen von Euro, gefährdet die Privatsphäre Unschuldiger,
beeinträchtigt vertrauliche Kommunikation und ebnet den Weg in eine
immer weiter reichende Massenansammlung von Informationen über die
gesamte Bevölkerung.\
\
Rechtsexperten erwarten, daß der Europäische Gerichtshof für
Menschenrechte im Anschluß an den Verfassungsgerichtshof Rumäniens eine
Pflicht zur verdachtslosen Vorratsspeicherung von Kommunikationsdaten
für unvereinbar mit der Europäischen\
Menschenrechtskonvention erklären wird. EU-Justizkommissarin Viviane
Reding und EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström haben bereits eine
Überprüfung der EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung auf ihre
Übereinstimmung mit der EU-Grundrechtecharta angekündigt.\
\
Als Vertreter der Bürgerinnen und Bürger, der Medien, der Berufstätigen
und der Wirtschaft lehnen wir die Forderungen nach\
einer Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung geschlossen ab. Wir
appellieren an Sie, sich ungeachtet eines möglichen\
Vertragsverletzungsverfahrens grundsätzlich von der Forderung nach einer
neuerlichen umfassenden und verdachtsunabhängigen Speicherung von
Telekommunikationsdaten zu distanzieren. Stattdessen rufen wir Sie auf,
sich auf europäischer Ebene klar für eine Abschaffung der
EU-Mindestvorgaben zur Vorratsdatenspeicherung einzusetzen, damit jeder
europäische Staat wieder selbst über die Gewährleistung des
Kommunikationsgeheimnisses seiner Bürgerinnen und Bürger entscheiden
kann. Seien Sie sich unserer Unterstützung dabei versichert.\
\
Mit freundlichen Grüßen,\
\
1. Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung\
2. Aktion Freiheit statt Angst e. V.\
3. Attac Deutschland\
4. Bund demokratischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler e. V.\
5. Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen e. V. (BDP)\
6. Bundesarbeitsgemeinschaft Kritischer Polizistinnen und Polizisten
(Hamburger Signal) e. V.\
7. Bundesverband Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe – Frauen gegen
Gewalt e. V.\
8. Chaos Computer Club e. V.\
9. Deutsche AIDS-Hilfe e. V.\
10. Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union dju in ver.di\
11. Deutscher Journalisten-Verband e. V.\
12. Deutscher Presserat\
13. DFJV Deutscher Fachjournalisten-Verband AG\
14. DPV Deutscher Presse Verband – Verband für Journalisten e. V.\
15. DVD – Deutsche Vereinigung für Datenschutz e. V.\
16. eco – Verband der deutschen Internetwirtschaft e. V.\
17. Ev. Konferenz für Telefonseelsorge und Offene Tür e. V.\
18. FIfF – Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche
Verantwortung e. V.\
19. FoeBuD e. V.\
20. Förderverein Informationstechnik und Gesellschaft (FITUG) e. V.\
21. Forum Menschenrechte e. V.\
22. Free Software Foundation Europe e. V.\
23. FREELENS e. V.\
24. Freie Ärzteschaft e. V.\
25. Gesellschaft für Datenschutz und Datensicherheit e. V. (GDD)\
26. Humanistische Union e. V.\
27. IALANA\
28. IG Bauen-Agrar-Umwelt\
29. Internationale Liga für Menschenrechte e. V.\
30. Komitee für Grundrechte und Demokratie e. V.\
31. Lesben- und Schwulenverband LSVD\
32. Magistrats européens pour la Démocratie et les Libertés – MEDEL\
33. naiin – no abuse in internet e. V.\
34. NAV-Virchow-Bund – Verband der niedergelassenen Ärzte Deutschlands
e. V.\
35. Netzwerk Neue Medien e. V.\
36. netzwerk recherche e. V.\
37. Neue Richtervereinigung e. V.\
38. Organisationsbüro der Strafverteidigervereinigungen\
39. PRO ASYL e. V.\
40. Reporter ohne Grenzen e. V.\
41. Republikanischer Anwältinnen- und Anwälteverein e. V.\
42. Verband der Freien Lektorinnen und Lektoren VFLL e. V.\
43. Verband Freier Psychotherapeuten, Heilpraktiker für Psychotherapie
und Psychologischer Berater e. V.\
44. Verbraucherzentrale Bundesverband e. V.\
45. Verein demokratischer Ärztinnen und Ärzte\
46. Vereinigung Demokratischer Juristinnen und Juristen e. V.\
47. Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di)\
\
Fußnoten und Belege:\
1. [Evaluierung der Richtlinie zur
Vorratsdatenspeicherung](http://www.vorratsdatenspeicherung.de/images/RoomDocumentEvaluationDirective200624EC.pdf)
(pdf)\
\
2. [Stellungnahme
Deutschlands](http://www.vorratsdatenspeicherung.de/images/DR-consult/de_ms_de.pdf)
(pdf), [Stellungnahme des Arbeitskreises
Vorratsdatenspeicherung](http://www.vorratsdatenspeicherung.de/images/antworten_kommission_vds_2009-11-13.pdf)
(pdf)\
\
3. [Die
Cybercrime-Konvention](http://conventions.coe.int/treaty/ger/treaties/html/185.htm)\
\
4. [Aufklärungsrate
2007](http://www.polizei-nrw.de/lka/stepone/data/downloads/08/01/00/kriminalitaetsentwicklung_pks_nrw_2007.pdf)
(pdf)\
\
5. [Aufklärungsrate
2008](http://www.polizei-nrw.de/lka/stepone/data/downloads/45/01/00/pks-nrw-jahresbericht-2008.pdf)
(pdf)\
\
6. [Aufklärungsrate
2009](http://www.polizei-nrw.de/lka/stepone/data/downloads/6a/01/00/pks-jahresbericht2009.pdf)
(pdf)\
\
7. [Meinungsumfrage zur
Vorratsdatenspeicherung](https://www.vorratsdatenspeicherung.de/images/infas-umfrage.pdf)
(pdf)\
\
\
Über den AK Vorrat:\
Der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung (AK Vorrat) ist ein
bundesweiter Zusammenschluss von Bürgerrechtlern, Datenschützern und
Internet-Nutzern, die sich für den Schutz unserer Freiheitsrechte in
Zeiten ausufernder Überwachung einsetzen. Wir wehren uns gegen die
Vorratsdatenspeicherung, weil sie vertrauliche Tätigkeiten und Kontakte
etwa zu Journalisten, Beratungsstellen und\
Geschäftspartnern dem Risiko eines Bekanntwerdens aussetzt und dadurch
unzumutbar behindert. Der Arbeitskreis hat die mit über\
34.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern größte Verfassungsbeschwerde der
Bundesrepublik initiiert.\
\
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