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title: Schnellverfahren am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte wegen Geheimdienst-Spionage
date: 2014-01-23 22:45:00
updated: 2016-04-12 22:18:13
author: stefan
tags: update, pressemitteilung
Die Beschwerdeführer vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) begrüßen die Entscheidung des Gerichts, sich der Spionagevorwürfe gegen den GCHQ im Schnellverfahren anzunehmen. Die Richter sollen feststellen, ob die jüngst bekanntgewordenen Internetüberwachungsprogramme des britischen Geheimdiensts Rechtsgrundsätze verletzen.
<!-- TEASER_END -->
Die Bürgerrechtsgruppen Big Brother Watch, die Open Rights Group, die
britische Schriftstellervereinigung PEN und die Netzaktivistin und
Sprecherin des Chaos Computer Clubs (CCC), Constanze Kurz, hatten die
Beschwerde ins Rollen gebracht, nachdem Details über die riesigen
Datensammlungen der britischen Spionagedienste an die Öffentlichkeit
gekommen waren.\
\
Das Gericht hat nach Abschluß der Voruntersuchungen nun die britische
Regierung aufgefordert, sich für die Praktiken ihres Geheimdiensts GCHQ
und dessen Kontrolle zu rechtfertigen und darzulegen, inwiefern diese
mit dem Recht auf Privatsphäre gemäß Artikel 8 der Europäischen
Konvention der Menschenrechte in Einklang zu bringen sind. Ferner wurde
der Fall als einer der wenigen überhaupt für eine vorrangige Bearbeitung
vorgesehen. Der britischen Regierung wurde für die Erwiderung eine Frist
bis zum 2. Mai gesetzt, danach erst kann der Fall weiter bearbeitet
werden, bevor ein Urteil ergehen kann.\
\
Die Beschwerdeführer berufen sich darauf, daß das GCHQ durch die
anlaßlose Überwachung von Millionen vollkommen unverdächtiger
europäischer Bürger gegen das Menschenrecht auf Privatsphäre verstößt.\
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**Stellungnahmen**:\
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Der Vorstand von Big Brother Watch, Nick Pickles, sagte: "Wir wissen
jetzt, daß das GCHQ trotz anderslautender Beteuerungen vor dem
britischen Parlament eine zentrale Überwachungsdatenbank betreibt. Durch
das Beschwerdeverfahren wollen wir der Frage auf den Grund gehen, warum
Öffentlichkeit und das Parlament nicht ausreichend über den
industriellen Umfang der Überwachung und der damit verbundenen
Grundrechtsverletzungen informiert wurden."\
\
Die Direktorin der britischen Schriftstellervereinigung PEN, Jo
Glanville, sagte: "Die britische Regierung hat es bisher versäumt, sich
zu den Enthüllungen über die Aktivitäten des GCHQ zu äußern. Wir sind
hocherfreut, daß der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte sich der
Beschwerde mit Priorität annimmt. Dies geschieht nur in einer handvoll
Fälle und ist ein Maß für die beträchtlichen internationalen Bedenken
über das aus dem Ruder gelaufene britische Überwachungsprogramm."
Der Vorstand der Open Rights Group, Jim Killock, sagte: "Das digitale
Zeitalter birgt die Gefahr, daß Regierungen alles und jeden fast zu
jeder Zeit flächendeckend beobachten. Wir mußten lernen, daß unsere
Gesetze zur Umsetzung dieser Bestrebungen gebeugt und mißbraucht
wurden."
Der Verfahrensvertreter Daniel Carey von Deighton Pierce Glynn, der
Kanzlei, die die Beschwerdeführer vertritt, sagte: "Der Europäische
Gerichtshof für Menschenrechte hat den Fall bemerkenswert schnell der
britischen Regierung vorgelegt und dessen Bearbeitung zu seiner
Priorität erhoben. Das Gericht hat durch seine Aufforderung an die
Regierung, zur Rechtmäßigkeit der Überwachungsvorgänge und den
installierten Kontrollmechanismen Stellung zu nehmen, entschieden
gehandelt. Dies läßt hoffen, daß das Gericht der Regierung bei weiterem
Leugnen von Verstößen Reformen ins Stammbuch schreibt."\
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Die Informatikerin und CCC-Sprecherin Constanze Kurz sagte: "Der
Europäische Gerichtshof für Menschenrechte verlangt von der britischen
Regierung dringlich Antworten. Es ist nun unerläßlich, daß die
Menschenrechte und der Respekt vor der Privatsphäre von Millionen
EU-Bürgern endlich auch von der britischen Regierung und dem Parlament,
aber auch auf EU-Ebene die Priorität erfahren, die ihnen gebührt."
**Links**:\
\
Britischer Geheimdienst GCHQ wegen Massenüberwachung vor dem
Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte:
<http://www.ccc.de/de/updates/2013/gchq>\
\
Privacy not PRISM: <https://www.privacynotprism.org.uk/>
Auch auf nationaler Ebene hat sich der Chaos Computer Club einer
Initiative der Internationalen Liga für Menschenrechte angeschlossen und
wird – parallel zu Strafanzeigen der Ligen für Menschenrechte in
Frankreich und Belgien – noch im Januar Strafanzeige gegen die
Verantwortlichen der Geheimdienste sowie Mitglieder der Bundesregierung
stellen. Gegenstand des Strafantrags wird die Verletzung der
höchstpersönlichen Lebensbereiche der Bürger sein. Weiter soll geprüft
werden, ob sich verantwortliche Personen der Spionage zugunsten der USA
schuldig gemacht haben.
**Weitere Informationen zum EGMR-Verfahren**:\
\
Die britischen Bürgerrechtsgruppen Big Brother Watch, Open Rights Group,
der britische Schriftstellerverband PEN und die Informatikerin und
Sprecherin des Chaos Computer Clubs haben am 4. September 2013 gegen den
britischen Geheimdienst Government Communications Headquarters (GCHQ)
wegen illegalen Eingriffs in die Privatsphäre von Millionen britischer
und europäischer Bürger eine Beschwerde vor dem Europäischen Gerichtshof
für Menschenrechte (EGMR) eingereicht. Kern der Beschwerde ist, daß
unkontrollierte Überwachung einen Verstoß gegen Artikel 8 der
Europäischen Menschenrechtskonvention darstellt, der allen EU-Bürgern
ein Menschenrecht auf Privatsphäre einräumt. Jegliche Einschränkung
dieses Grundrechts muß sowohl verhältnismäßig sein als auch im Einklang
mit öffentlichen gesetzlichen Vorgaben stehen. Weder die Gesetze noch
die geheimdienstliche Praxis in Großbritannien erfüllen diese Vorgaben.\
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Die britischen Beschwerdeführer hatten ursprünglich versucht, ihren Fall
einheimischen Gerichten vorzulegen, und am 3. Juli 2013 die britischen
Regierung informiert, den Rechtsweg beschreiten zu wollen. Diese ließ
jedoch verlauten, britische Gerichte würden den Fall nicht bearbeiten.
Stattdessen solle man sich an die parlamentarische Geheimdienstkontrolle
(Investigatory Powers Tribunal) wenden – jenes geheime Gremium, das für
Beschwerden über Geheimdienste zuständig ist und dessen Ergebnisse nicht
gerichtlich anfechtbar sind. Im Verfahren "Kennedy ./. Großbritannien"
hat der EGMR festgestellt, daß vor dem Gang nach Straßburg keine
vorherige Beschwerde bei der Geheimdienstkontrollbehörde notwendig ist,
da es dessen Effizienz und Macht zur wirksamen Beseitigung der Mißstände
bezweifelte. Die Beschwerdeführer haben daher ihren Fall beim EGMR
vorgestellt, der nun entscheiden muß, ob die britischen Gesetze
internationales Recht brechen. Es wird angenommen, daß es sich um den
ersten Fall solcher Grundrechtsprüfung in Folge der Veröffentlichungen
von Edward Snowden im Jahr 2013 handelt.\
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Die Internet-Überwachung in Großbritannien ist hauptsächlich im Gesetz
"Regulation of Investigatory Powers Act" (RIPA) geregelt, welches
sicherstellen soll, daß Überwachung im Internet die Ausnahme und nicht
die Regel wird. Offensichtlich ist das Gesetz gescheitert. Da die
meisten Internetaktivitäten britischer Benutzer technisch bedingt als
international betrachtet werden, kann die Kommunikation unter Berufung
auf Paragraph 8(4) RIPA von der GCHQ abgehört, gespeichert und
ausgewertet werden. Die Befugnisse, im Rahmen des TEMPORA-Programms zu
überwachen, scheinen als eine Art kontinuierlicher Blankoscheck
ausgestellt zu sein. Darüberhinaus ist anzunehmen, daß die gewonnenen
Informationen Partnergeheimdiensten wie der NSA frei zugänglich gemacht
werden. Dies ist vergleichbar mit dem umfänglichen Abfangen, Speichern,
Auswerten, Kopieren und dem Zugänglichmachen für die Geheimdienste der
Welt von allen durch Großbritannien geleiteten Briefsendungen unter dem
bloßen Vorwand der nationalen Sicherheit.\
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Zur Zeit der Verabschiedung des RIPA war den Gesetzgebern nicht klar, ob
Internetverbindungen in brauchbarer Art und Weise abgehört werden
können. Ganz sicher gab es kein öffentliches Bewußtsein für die
weitreichenden Folgen der Befugnisse, die den Geheimdiensten durch das
Gesetz gewährt wurden.\
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Ähnlich verhält es sich mit dem US-Pendant des Spähprogramms unter dem
Namen PRISM, in dessen auch für den GCHQ verfügbaren Datensammlung sich
ebenfalls Spuren der Internetaktivitäten vieler EU-Bürger wiederfinden.
Bis zu den Veröffentlichungen war den britischen Aufsichtsbehörden diese
Praxis gänzlich unbekannt. Die wichtigste dieser Behörden, das
Parliamentary Intelligence and Security Committee, vergleichbar mit dem
deutschen Parlamentarischen Kontrollgremium, stellte dem Programm nach
nur kurzer Untersuchung innerhalb weniger Wochen einen Persilschein
aus.\
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Eine nähere Betrachtung legt jedoch nahe, daß die flüchtige Untersuchung
einen nur zweiseitigen Bericht produzierte, der kaum die Spitze des
Eisbergs beleuchtet. Dieses gesamte Fachgebiet der Geheimdienstpraxis
ist vollständig rechtlich und verfahrenstechnisch unreguliert.\
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Die Beschwerdeführer erwarten, daß der Gerichtshof die
Überwachungspraktiken in Großbritannien für unverhältnismäßig befindet
und feststellt, daß die Gesetzgebung zum Schutz der Privatsphäre
ungeeignet ist. Die Praxis der routinemäßigen Bewilligung von
Überwachungsanordnungen zeigt, daß die Kontrolle gescheitert ist
und/oder umgangen wird sowie, daß die mit der Kontrolle Beauftragten
versagt haben.\
Die Beschwerdeführer erwarten, daß der Gerichtshof Großbritannien in die
Pflicht nimmt, die Überwachungspraxis gesetzlich auf ein die Grundrechte
beachtendes Maß zu begrenzen. Das bedeutet, die zu erwartenden neuen
Gesetze müssen verhältnismäßig sein sowie einer strengen juristischen
und öffentlichen Aufsicht unterliegen. Sie müssen regeln, daß die von
Überwachung betroffenen Bürger (mindestens nachträglich) ausreichend
informiert werden und daß Aufsichsbehörden mit genug Resourcen und
Befugnissen ausgestattet werden, um die Umsetzung dieser Gesetze auch
kontrollieren zu können. Kurzum: Es muß ein Rechtsrahmen geschaffen
werden, der die Prinzipien der Umsetzung von Menschenrechten gegenüber
Kommunikationsüberwachung anerkennt und gewährleistet. Weitere
Informationen (auf Englisch):
[https://en.necessaryandproportionate.org](https://en.necessaryandproportionate.org/text)).\
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