1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
21
22
23
24
25
26
27
28
29
30
31
32
33
34
35
36
37
38
39
40
41
42
43
44
45
46
47
48
49
50
51
52
53
54
55
56
57
58
59
60
61
62
63
64
65
66
67
68
69
70
71
72
73
74
75
76
77
78
79
80
81
82
83
84
85
86
87
88
89
90
91
92
93
94
95
96
97
98
99
100
101
102
103
104
105
106
107
108
109
110
111
112
113
114
115
116
117
118
119
120
121
122
123
124
125
126
127
128
129
130
|
title: Hausdurchsuchungen bei Vereinsvorständen der „Zwiebelfreunde“ und im „OpenLab“ Augsburg
date: 2018-07-04 08:12:30
updated: 2018-07-04 08:44:38
author: 46halbe
tags: update, pressemitteilung
Die Wohnungen von Aktiven im Vorstand des Vereins Zwiebelfreunde sind in mehreren deutschen Städten mit einer höchst fragwürdigen Begründung „als Zeugen“ durchsucht und Computer und Datenträger beschlagnahmt worden. Auch der Augsburger Ableger des CCC im dortigen OpenLab musste eine Durchsuchung über sich ergehen lassen.
<!-- TEASER_END -->
Der Verein Zwiebelfreunde setzt sich seit sieben Jahren für technische
Lösungen zur Anonymisierung ein und schult Menschen im Umgang mit
Anonymisierungstechniken. Er betreibt unter
[TorServers.net](https://torservers.net/ "Tor Servers Homepage") Relays
der Anonymisierungssoftware Tor und hilft Betreibern technisch und
juristisch. Daneben unterstützt der Verein andere Organisationen beim
Sammeln von Spenden. Ins Visier polizeilicher Maßnahmen gerieten die
Vereinsvorstände nun nicht etwa als Verdächtige, sondern als Zeugen.
Der Hintergrund der Durchsuchungen und Beschlagnahmungen am 20. Juni
mutet abenteuerlich an: Es gab eine anonyme Webseite im Internet, die zu
Protesten gegen den AfD-Parteitag in Augsburg aufgerufen hatte. Die
unbekannten Betreiber dieser Webseite verwendeten eine beim alternativen
E-Mail-Provider Riseup registrierte Mail-Adresse. \[1\] Für Spenden an
[riseup.net](https://riseup.net/ "Riseup Homepage") wiederum existiert
beim Verein Zwiebelfreunde eine Bankverbindung für ein Spendenkonto.
Riseup hat seinen Sitz in den Vereinigten Staaten und bietet im Grunde
eine coole und kommerzfreie Alternative zu Gmail an. Wegen der sonst rar
gewordenen strikten Datenschutz-Richtlinien wird er weltweit von einer
Vielzahl von NGOs und Graswurzelbewegungen verwendet.
Das hat sich jedoch nicht bis nach Bayern zur Polizei herumgesprochen.
Die Generalstaatsanwaltschaft München ging wohl irrig davon aus, dass
jeder, der irgendwie auch nur entfernt mit Riseup in Verbindung steht,
Angaben über jedes einzelne registrierte E-Mailkonto machen könne – auch
zu den Betreibern einer mutmaßlich rechtswidrigen Internetseite. \[2\]
Den ermittelnden Beamten vor Ort war offensichtlich bereits klar, wie
schwach und haltlos konstruiert diese Verbindung ist. Das räumten sie
gegenüber den Zeugen auch ein, zogen aber die Durchsuchungen und
Beschlagnahmungen dennoch durch.
Mit der gleichen an den Haaren herbeigezogenen Begründung hätte jede
Durchsuchung bei beliebigen Personen zu Hause stattfinden können, wenn
die anonyme Seite von Menschen mit Gmail-Adressen betrieben worden wäre.
Die für einen offenkundig unsinnigen Zusammenhang lediglich als Zeugen
geführten Betroffenen mussten Eingriffe in ihre Privatsphären über sich
und ihre Familien ergehen lassen, die in jeder Hinsicht
unverhältnismäßig sind. Ohne den Versuch einer Befragung der Zeugen
wurden unmittelbar die privaten Wohnungen der Vorstände des Vereins
durchsucht.
Dabei wurde eine Vielzahl an informationstechnischen Geräten und
zahlreiche Speichermedien beschlagnahmt. Betroffen von den
Durchsuchungen und Beschlagnahmungen waren zudem vollkommen unbeteiligte
Familienangehörige der Vereinsvorstände – die allesamt keiner Straftat
beschuldigt waren. Von den Beschlagnahmungen betroffen sind außerdem
unbeteiligte Firmen und sensible Daten unbeteiligter Projekte der
Zwiebelfreunde, beispielsweise der Linux-Distribution Tails. Eine
Herausgabe der beschlagnahmten Hardware wird bisher bei einigen
Betroffenen verweigert.
„Der Fall zeigt plastisch, wie leicht komplett unbescholtene Bürger
mitsamt ihrer Familien durch eine konstruierte Indizienkette zum Opfer
schwerer Grundrechtseingriffe werden können. Auf der Basis einer so
offensichtlich unhaltbaren Argumentation als Zeuge mit völlig
überzogenen Maßnahmen behelligt zu werden, ist mehr als fragwürdig. Die
Verschärfung der bayerischen Polizei-Gesetze in den letzten Jahren führt
offenbar dazu, dass sich die Verantwortlichen an das Gebot der
Verhältnismäßigkeit von Eingriffen nicht mehr gebunden fühlen“, sagte
Frank Rieger, Sprecher des Chaos Computer Clubs (CCC).
Nochmal zum Mitmeißeln: Aus dem Vorhandensein einer E-Mailadresse bei
einem großen freien Anbieter auf einer Webseite haben die Strafverfolger
gefolgert, dass ein deutscher Verein in engem Zusammenhang mit den
Aufrufen stehen müsse, der nichts weiter tut, als Spenden für diesen
Anbieter abzuwickeln. Obwohl der Zwiebelfreunde-Verein offensichtlich
mit dem Betrieb des Providers nichts zu tun hat, wurde er trotzdem en
passant verdächtig. Dass die Durchsuchungen und Beschlagnahmungen
angeordnet wurden, offenbart entweder hochgradige kriminalistische
Inkompetenz oder bösen Willen bei den bayerischen Ermittlungsbehörden.
Wer die Zwiebelfreunde bei geplanten rechtlichen Schritten wegen der
Herausgabe, einem Verwertungsverbot der beschlagnahmten Unterlagen und
der Feststellung der Unverhältnismäßigkeit unterstützen möchte – und
sich noch traut, auf entsprechende Konten zu spenden –, kann dies hier
tun: <https://www.zwiebelfreunde.de/>.
### Durchsuchung des OpenLab in Augsburg
Im Zuge der Durchsuchungen bei den Vereinsvorständen in Augsburg, Jena,
Dresden und Berlin weitete die Polizei die Maßnahmen eigenmächtig auf
Räume aus, die auch von Mitgliedern des Chaos Computer Clubs (CCC)
genutzt werden: das Augsburger OpenLab. Hier trafen die Beamten auf die
Lebensrealität von Hackern: Arbeitsmittel zum Platinenätzen, Reinigen
und Haarefärben. Weil die Polizisten dann noch eine Zeichnung auf einem
Whiteboard des Hackerspaces großzügig als Bombenbauanleitung
interpretierten, beschuldigten sie zufällig anwesende Mitglieder des
Hackerspaces, sie würden ein Sprengstoffattentat vorbereiten. Drei
Personen nahm die Polizei fest und durchsuchte danach den Hackerspace
ohne einen Durchsuchungsbeschluss und ohne jegliche Zeugen.
Sie beschlagnahmte Gegenstände aus dem OpenLab und öffnete mit Gewalt
verschlossene Schränke, in denen sich auch Mitgliederdaten und
Kontoauszüge befanden. Es ist davon auszugehen, dass Kopien gemacht
wurden und in die Privatsphäre von Mitgliedern und Spendern beider
Vereine eingegriffen wurde.
Sowohl die initiale Verdachtsgewinnung gegen die Vorstände der
Zwiebelfreunde als auch die nachfolgende Verdächtigung in Richtung
Sprengstoff sind entweder inkompetent oder böswillig. Der schwerwiegende
Verdacht der „Vorbereitung eines Sprengstoffattentats“ bedroht den
Betrieb jedes Labors und jedes Hackerspaces dramatisch – das
familienfreundliche OpenLab ist so gut wie täglich für Besucher
geöffnet. Wenn nun schon die schlichte Auseinandersetzung mit chemischen
Grundkenntnissen als Verdachtsmoment gilt, so muss bald jeder Schüler
sein Chemiebuch gut vor den Augen neugieriger Polizisten verstecken.
Wer mehr über die polizeiliche Rollkommando-Aktion erfahren möchte, kann
am Freitag bei [logbuch-netzpolitik.de](https://logbuch-netzpolitik.de/)
reinhören. Einer der Betroffenen wird über die Vorkommnisse berichten.
Der Podcast wird um 18 Uhr online sein.
### Links:
- \[1\] [https://riseup.net](https://riseup.net/)
- \[2\]
[AfD-Protestseite](https://augsburgfuerkrawalltouristen.noblogs.org/impressum/)
- \[3\]
[https://www.zwiebelfreunde.de](https://www.zwiebelfreunde.de/)
|