Selbstausbeuter

In einer Welt des Kommerz einen nicht- oder antikommerziellen Kosmos zu pflegen, ist hart. Die Menschen, die sich in dieser besonderen Sphäre zusammenfinden, wie wir sie auf unseren CCC-Veranstaltungen seit Jahren hochhalten, kommen aus den unterschiedlichsten Schichten und leben im Rest des Jahres nicht im luftleeren Raum. Sie müssen sich ernähren, müssen wohnen und wollen gesellschaftliche Teilhabe auch an Ereignissen, bei denen sie nicht – wie bei Camp und Congress und viele der kleineren CCC-Veranstaltungen – bewusst subventioniert werden. Doch auf unseren Veranstaltungen müssen wir alle damit klarkommen, das Spannungsfeld von deutlichen Wohlstandsunterschieden und die Auswirkungen von Lebensentwürfen mit unterschiedlicher Zeitflexibilität hautnah mitzuerleben.

Wir sehen unsere Veranstaltungen als solidarisch organisierte Ereignisse, bei denen Teilnehmer mit mehr finanziellen Resourcen regelmäßig mehr geben – sei es direkt beim Solidar-Eintrittspreis oder beim großzügigeren Merch-Kauf – als Teilnehmer mit weniger flexiblen Möglichkeiten. Für besondere Härtefälle versuchen wir zudem seit Jahren, faire Möglichkeiten anzubieten, sich an den unvermeidlichen Kosten der Veranstaltung im Rahmen der eigenen finanziellen Kräfte zu beteiligen. Auch wenn sich hundert Euro pro Jahr erträglich anhören, gibt es genug Lebenskünstler und Hacker, für die dieser Zehner im Monat einen bedeutenden Einschnitt bedeutet.

Dass wir trotzdem mit einem konkurrenzlos fairen Eintritt von rund hundert Euro für vier Tage Konferenz hinkommen, liegt an der beeindruckenden, sich selbst organisierenden freiwilligen Arbeit der inzwischen tausenden Helfer. Und diese sind dazu natürlich nicht für jede beliebige Veranstaltung bereit, sondern spenden ihre Zeit und Energie einer Community, der sie gern angehören. Niemand mag es aber, ausgenutzt zu werden. Unser Experiment funktioniert nur deshalb so gut, weil wir seit Jahren offensiv vorleben, und auch sozial kontrollieren, dass dieses ehrenamtliche, unbezahlte Engagement vieler nicht von einzelnen anderen monetarisiert wird. Denn in dem Moment, wo Zweifel aufkommen, ob die Orga Entscheidungen trifft, um sich selber zu bereichern, oder wenn geduldet wird, dass sich jemand innerhalb der Veranstaltung oder am Namen bereichern möchte – da liegt ja schließlich buchstäblich das Geld auf der Straße – , bricht die einzigartige Kultur des nicht-kommerziellen Raums zusammen.

Nun ist es so, dass auch die Menge Freizeit, die ein Einzelner in sein Ehrenamt (und als solches sehen wir den Beitrag zu den C3) investieren kann, je nach Hintergrund schwankt. Alleine zu den Orga-Treffen aus der Bundesrepublik anzureisen, ist zeitlich und finanziell anstrengend und wird daher von uns gefördert. Einige Menschen werden von den Mechanismen der "hochflexiblen" Arbeitswelt täglich von 7-17 Uhr plus Anfahrt ausgelaugt, haben familiäre Verpflichtungen und können sich vielleicht nur an Wochenenden voll einbringen, andere hingegen haben hochspezialisierte Jobs, kommen mit moderatem Zeiteinsatz finanziell gut über die Runden und können daher mehr oder regelmäßiger Energie in unser gemeinsames Projekt stecken.

Und hier liegt die größte Gefahr für das Gerechtigkeitsempfinden: Wer seine Resourcen überschätzt (und das ist nicht als Vorwurf an die Freiwilligen zu verstehen) und sich in unserer Szene in einem Maße einbringt, wie es ihnen andere mit zeitflexibleren Umständen vorleben, kann schnell an die Grenzen seiner Möglichkeiten kommen. Ich habe es in meinem Umfeld mehrfach gesehen, dass sich gerade in Jahren mit Congress- und Camp-Vorbereitung Freunde Hals über Kopf in den Orgatrubel gestürzt haben statt erwerbszuarbeiten, um dann am Ende des Jahres überrascht auf ihren Kontoauszug zu starren. Mir selber ist es passiert, dass ich nach einem Campsommer mit den über's Jahr mental beiseitesortierten Steuerforderungen konfrontiert wurde und dem Vollzieher Dinge erklären musste.

Daher denke ich, dass die Szene einen offensiven Umgang mit Freunden braucht, die dabei sind, sich selbst zu verheizen. Es ist total cool, wenn sich jeder im Rahmen seiner Möglichkeiten zu 100 % einbringt – eventuell mit koordinierten und an anderer Stelle wieder aufgefangenen 110 %. Nicht cool ist, wenn wir als Community einige Teilnehmer erst nach einer Phase der Anstrengungen über ihrem Limit auflesen, wenn sie sich verzweifelt nach einem Lebensunterhalt oder gar einem Schuldenabbauplan umsehen müssen. Der naheliegendste – weil vordergründig gerechte – Weg ist natürlich, die Community mit Verweis auf die Ursachen der Klemme zu aktivieren und mit Crowdfunding oder einem Spendenhut das Schlimmste aufzufangen. Die Hilfsbereitschaft in der Community gibt dies meist auch her.

Problematisch sind hier aber zwei Dinge: Wenn aus einer kurzfristigen Hilfe in einer Notsituation ein Anspruch extrapoliert wird, landen wir ziemlich schnell bei der Diskussion, ab wann diese teils selbstverschuldeten Umstände keine Hilfe mehr rechtfertigen, oder anders, wie man schon im Vorfeld freiwillige Mithilfe am Projekt zurückweist, bei der abzusehen ist, dass sich der Teilnehmer in eine solche Abhängigkeit begibt.

Denn wenn die ersten anfangen, ihre Existenz – wenn auch teilweise – an den Erfolg der Community zu hängen, braucht es für die Sicherstellung ihrer Existenz Mittel. Und wenn es Mittel zu verteilen gibt, wird jeder seinen Beitrag mit dem Beitrag dieser anderen vergleichen – nicht mehr seine Möglichkeiten mit denen der anderen – und eine entsprechende Vergütung für sich einfordern. Es bräuchte plötzlich viel mehr Geld und ein striktes Controlling für die zu verteilenden Mittel. Und wenn Teilnehmer dieselben Aufgaben unbezahlt erledigen wie vergütete Mit-Teilnehmer, kommt die berechtigte Frage nach dem Warum auf. Die Folge davon ist, dass Teilnehmer anfangen, ihre Beteiligung zu überdenken und zurückzufahren.

Dieser dem Congress-Gedanken diametral stehende Gegenentwurf – eine Annäherung an so etwas wie reale Personalkosten – würde eine Spirale von zwangsweise darauffolgenden Eintrittspreis-Erhöhungen nach sich ziehen oder schlimmer noch: den Einmarsch von gezielter Werbung, was einem Ende der Unabhängigkeit und Glaubwürdigkeit des Kulturkreises gleichkäme. Bis heute zeichnet sich die ganze Veranstaltung durch eine erfrischende Freiheit von Werbemüll aus – und wir wollen das so behalten. Und an den Preisen deutlich zu drehen, würde wiederum einen Ausschluss von Schwächeren nach sich ziehen – für uns ebenso inakzeptabel.

Zweitens finde ich bedenklich, dass die Möglichkeiten, die Community zu aktivieren, stark von der Sichtbarkeit (oder Reichweite oder Vernetzung) des Betroffenen abhängt. Im Konkreten: Wenn ein Teilnehmer als Lagerverwalter im LOC nach dem Abbau vor dem Nichts steht, hat er eine viel kleinere Plattform als beispielsweise ich oder bestimmte Teams mit einer starken Außen- oder Innenwirkung (think Podcaster, c3nav, Heralde). Dieser privilegierten Position müssen sich die sichtbaren Helfer bewusst werden, bevor sie diese von uns allen hergestellte Reichweite benutzen, um einen gefühlt gerechtfertigten Ausgleich für ihre Arbeit zu fordern.

Und wir als Community müssen uns der Aufgabe stellen, offen über Selbstausbeutung zu sprechen, Mithilfe-Angebote kritisch nach der individuellen Nachhaltigkeit hinterfragen und im Zweifel zurückzuweisen.