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2.. date: 2009/07/09 18:40
3.. title: Der Zensurbegriff
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6Zwischenfrage: Ede in Singsing bekommt ja seine Briefe immer erst, nachdem Karl-Heinz Redlich einen kurzen Blick dreingeworfen hat, Bedenkliches geschwaerzt und Kassiber komplett kassiert hat. Wie heisst die Taetigkeit, die Kalle dort ausuebt?
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8Nun stelle man sich mal vor, man saesse gar nicht ein, aber trotzdem gaebe es da einen Kalle, den man fuer jedes bisschen Text, das man lesen oder schreiben wollte, vorher fragen muesste. Der wuerde dann in einem dicken Katalog waelzen, ob das seine Ordnung haette. Und wenn er keine Bedenken haette, duerfte man die Information konsumieren oder niederlegen. Richtig: Auch das ist Zensur.
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10In letzter Zeit hoeren wir, auch von eigentlich gebildeten Menschen, dass die Web-Sperren keine Zensur seien. So argumentierte Heinrich Wefing in der aktuellen Zeit, dass das "Eine Zensur findet nicht statt" aus dem Grundgesetz ja im Konsens als "eine Vorzensur findet nicht statt" ausgelegt werden muesse. Somit sei das Ausfiltern einmal als unrecht erkannten Materials keine Zensur mehr.
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12Meines Erachtens nach war dieser Konsens jedoch eine blosse Verneigung vor der Realitaet, dass es bis dato technisch schlicht unmoeglich gewesen ist, auf der Konsumentenseite mit der Zensur anzusetzen. Die Moeglichkeit, Druckwerke in grosser Zahl zu verfielfaeltigen, war einigen grossen Spielern vorbehalten, die im Zweifel zusammengerufen und kontrolliert werden konnten. Man konnte frei publizieren und konnte als Verantwortlicher fuer Druckerzeugnisse, die strafrechtliche Konsequenzen nach sich zogen, belangt werden.
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14Neu ist, dass nun nicht mehr die Publikation, sondern die Rezeption jedes Werks im Internet ueberwacht und im Zweifel zensiert oder gar sanktioniert werden soll. Im Netz muss man fuer foermlich jedes Informationszipfelchen die Nameserverinfrastruktur bemuehen. Pro geklickter Webseite koennen das schnell mehrere dutzend Anfragen sein. Und genau bei den Nameservern setzt das Gesetz eine Armada von Kalles an seinen individuellen Index Librorum Prohibitorum.
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16Man kann sich die Tragweite dieser Massnahme in die reale Welt uebertragen kaum vorstellen. In allen Bibliotheken und Buchhandlungen muesste man mit dem Buch, das man gerade kaufen moechte, noch vor der Kasse bei Kalle vorbei und haette mit Sanktionen zu rechnen, hielte man das falsche Buch in der Hand. Doch die Analogie fuer das Netz-Sinnesorgan "Browser" ist hier noch zu duerftig: Allein das Betrachten von Buechern im Schaufenster der Buchhandlung, das kurzfristige Aufflackern eines Plakats an einer Litfasssaeule schon waere eigentlich einer Erlaubnis beduerftig.
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18Nun ist das Zensurgesetz also um Magnituden monstroeser als alles, was bisher unter dem Begriff "Zensur" durch unsere Kulturgeschichte humpelte. In Ermangelung eines drastischeren Begriffs fuer dieses Ungetuem sei es jedoch erlaubt, vorerst den noch harmloseren Ausdruck zu verwenden.
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2.. date: 2009/04/06 20:56
3.. title: Medienschwemme
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6Nun bin auch ich darauf reingefallen. Ich wollte es ja erst nicht wahrhaben und habe mich insgeheim bei anderen darueber aufgeregt. Oder zumindest lustig gemacht. Wenn die Eintraege in den Blogs immer kuerzer werden, oder ganz in die Mikroblogging-Welt verschwinden. Wenn die Beitraege fuer Printmedien immer spaerlicher werden, weil man ja nicht wisse, worueber man denn schreiben solle, aber gleichzeitig den kastrierte-Web-SMS-Service mit einer Publikation verwechselt.
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8Es ist ja auch wirklich einlullend. Je mehr Accounts ich mir in dieser Netzwelt eingerichtet hatte, desto mehr schrien all diese Medien nach meiner Aufmerksamkeit und meinem Input. Damit sich auch keiner zu kurz gekommen fuehlt, der extra mein "Freund" geworden ist, um den Beitraegen in einem dieser Medien zu folgen, verknuepfte ich all diese Medien automatisiert. Dazu musste ich mich auf den kleinsten gemeinsamen Nenner einigen. Fuer elend geringe Werte von kleinst.
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10Aus diesem Grunde aggregiert meine Suppe deswegen seit geraumer Zeit nur noch meine Twitternachrichten. Diesem Feed, den ich eigentlich nur zum Saufeinladungen verschicken und anzuegliche Herrenwitzchen machen eingerichtet hatte, folgen inzwischen ueber 270 Leute, von denen ich die wenigsten kenne. Was habe ich mir auch dabei gedacht, diese ganzen Mikro-Bloggingservices auszuprobieren, die fuer Leute sind, denen Bloggen mit vi zu anstrengend ist? Die Schwelle ist gering. Dass die Schwelle gering ist, ist aber nicht per se etwas Gutes. Ich kann von unterwegs mit meinem Phone bloggen. Prima. Fuer eine re:publica-wuerdige Definition von "Bloggen".
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12Was nun das Schlimme ist: die Zeit, die ich den ganzen hippen "jetzt wirklich wirklich"-Diensten hinterhernerde, geht mir von der Zeit ab, die ich mir frueher fuers Texteschreiben genommen habe. Oder anders: 50 Tweets machen nur von der Zeichenzahl her einen Blogpost und sind genauso nahrhaft wie Gratisbonbons beim Gebrauchtwagenhaendler.
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14Konsequenz: Twitter ist lokal. Suppe gibt's nur noch per /everyone. Eigenblog rockt!
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2.. date: 2009/07/01 22:43
3.. title: Papieraequivalente Authentizitaet
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6Fuer den durchschnittlichen Bildungsbuerger sind <q>[memory holes](http://en.wikipedia.org/wiki/Memory_hole)</q> ein Haushaltsbegriff. In digitalen Medien geht das mit dem "schnell was unbehauptet machen" noch schneller. Binsenweisheit, ich weiss. Trotzdem eine kurze Veranschaulichung.
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8Jedem Computerbesitzer, der schon einmal ein Bildbearbeitungsprogramm geoeffnet hat, sollten Nachrichten der Art, dass Filesharer anhand von Bildschirmausdrucken des p2p-Tools auf dem Rechner von Strafverfolgern – oder schlimmer gar: privater Rechteverwerter – Strafanzeigen kassiert haben, zumindest ein Stirnrunzeln hervorlocken.
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10Verweise der Art "http://test.com/seite.html abgerufen am 24.12.1978" machen dann Sinn, wenn web.archive.org dort just zu diesem Tag vorbeigekommen ist und von der /robots.txt nicht ausgeladen wurde. So rechte Beweiskraft, eventuell gar im juristischen Sinne, duerfte aber auch web.archive.org nicht geniessen. Das auch, obwohl diese Quelle fuer mich plausibel genug als neutral gilt.
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12Eine Nachricht im Papier-SPIEGEL kann ich auch Jahre spaeter noch als Quelle oder Beleg in Papierform aus meinem Keller wieder hervorkramen. Die Wahrscheinlichkeit, dass ich mir in der Druckerei meiner Wahl einen eigenen SPIEGEL gefaelscht habe, ist gering. Zur Not liegt ein Pflichtexemplar aller ernstzunehmenden Publikationen bei der Staatsbibliothek als Referenz.
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14Anders bei SPIEGEL Online. Einige Autoren sind dafuer beruehmt, dutzende Revisionen eines Artikels in hoher Frequenz zu "updaten". Nachvollziehbar ist ja noch, dass sie – seit sie den Lektor abgeschafft haben – dauernd Rechtschreib- und Grammatikprobleme korrigieren muessen. Wir sehen aber in letzter Zeit den Trend, kommentarlos einst Behauptetes zu entfernen, Ueberschriften abzumildern oder zu verschaerfen. Andere Zeitungen ziehen gar ganze Artikel zurueck. Wenn man Glueck hat, findet man diese noch in seinem Browsercache. Den Beweis zu fuehren, dass dieses elektronische Dokument auch wirklich vom Server der Zeitung geladen wurde, wird dem Leser aber schwerfallen.
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16Nun ist ja nachzuvollziehen, dass die (Online-)Magazine nicht ALLE Ausgaben umsonst ALLEN zur Zitatspruefung zur Verfuegung zu stellen wollen. Ich will aber dasselbe Mass an Nachvollziehbarkeit und Belegbarkeit von Veroeffentlichungen der sich selbst **ernst genug** nehmenden Medien! Und zwar im selben Sinne, wie ich das mit den Papierzeitschriften auch konnte. Ich komme deshalb nicht drumherum zu fordern, dass Pruefsummen aller Revisionen an einer oder mehreren unabhaengigen Stellen hinterlegt werden, gegen die ich als Leser und Zitator meine Kopie, aus der ich zitiere, belegen kann.
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18Hier bieten sich natuerlich zuerst die Bibliotheken an, die Listen von signierten Pruefsummen vorhalten und bei Disput als autoritative Quelle zum Vergleich herhalten koennten. Diese Signaturen muessten alle teilnehmenden Publikationen leisten - und dass fuer jedes Update.
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20Weiter sollen auch Bibliotheken selbst eigene Signaturen auf einzelne Zitate aus einer spezifischen (dann im Volltext vorgehaltenen) Revision eines Online-Artikels herausgeben. Um journalistische Standards zu unterstuetzen und einer breiten Masse an Schreibern das Zitieren zu ermoeglichen, muss dieser Zitatsdienst natuerlich kostenfrei zur Verfuegung stehen.
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22Wie genau dies umgesetzt wird, werden viele schlauere Leute als ich gewiss ausbaldowern. Einzig: Das Wohlfuehlgefuel beim Lesen eines Online-Blattes (und dabei schliesse ich "Qualitaetsblogs" explizit mit ein) stellt sich erst ein, wenn nicht yesterdays news im digitalen memory hole verschwinden koennen.
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