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author46halbe <46halbe@berlin.ccc.de>2014-01-24 00:31:15 +0000
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1title: Schnellverfahren am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte wegen Geheimdienst-Spionage
2date: 2014-01-23 22:45:00
3updated: 2014-01-24 00:31:15
4author: stefan
5tags: update, pressemitteilung
6
7Die Beschwerdeführer vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) begrüßen die Entscheidung des Gerichts, sich der Spionagevorwürfe gegen den GHCQ im Schnellverfahren anzunehmen. Die Richter sollen feststellen, ob die jüngst bekanntgewordenen Internetüberwachungsprogramme des britischen Geheimdiensts Rechtsgrundsätze verletzen.
8
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10<!-- TEASER_END -->
11
12Die Bürgerrechtsgruppen Big Brother Watch, die Open Rights Group, die
13britische Schriftstellervereinigung PEN und die Netzaktivistin und
14Sprecherin des Chaos Computer Clubs (CCC), Constanze Kurz, hatten die
15Beschwerde ins Rollen gebracht, nachdem Details über die riesigen
16Datensammlungen der britischen Spionagedienste an die Öffentlichkeit
17gekommen waren.\
18\
19Das Gericht hat nach Abschluß der Voruntersuchungen nun die britische
20Regierung aufgefordert, sich für die Praktiken ihres Geheimdiensts GCHQ
21und dessen Kontrolle zu rechtfertigen und darzulegen, inwiefern diese
22mit dem Recht auf Privatsphäre gemäß Artikel 8 der Europäischen
23Konvention der Menschenrechte in Einklang zu bringen sind. Ferner wurde
24der Fall als einer der wenigen überhaupt für eine vorrangige Bearbeitung
25vorgesehen. Der britischen Regierung wurde für die Erwiderung eine Frist
26bis zum 2. Mai gesetzt, danach erst kann der Fall weiter bearbeitet
27werden, bevor ein Urteil ergehen kann.\
28\
29Die Beschwerdeführer berufen sich darauf, daß das GCHQ durch die
30anlaßlose Überwachung von Millionen vollkommen unverdächtiger
31europäischer Bürger gegen das Menschenrecht auf Privatsphäre verstößt.\
32\
33**Stellungnahmen**:\
34\
35Der Vorstand von Big Brother Watch, Nick Pickles, sagte: "Wir wissen
36jetzt, daß das GCHQ trotz anderslautender Beteuerungen vor dem
37britischen Parlament eine zentrale Überwachungsdatenbank betreibt. Durch
38das Beschwerdeverfahren wollen wir der Frage auf den Grund gehen, warum
39Öffentlichkeit und das Parlament nicht ausreichend über den
40industriellen Umfang der Überwachung und der damit verbundenen
41Grundrechtsverletzungen informiert wurden."\
42\
43Die Direktorin der britischen Schriftstellervereinigung PEN, Jo
44Glanville, sagte: "Die britische Regierung hat es bisher versäumt, sich
45zu den Enthüllungen über die Aktivitäten des GCHQ zu äußern. Wir sind
46hocherfreut, daß der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte sich der
47Beschwerde mit Priorität annimmt. Dies geschieht nur in einer handvoll
48Fälle und ist ein Maß für die beträchtlichen internationalen Bedenken
49über das aus dem Ruder gelaufene britische Überwachungsprogramm."
50
51Der Vorstand der Open Rights Group, Jim Killock, sagte: "Das digitale
52Zeitalter birgt die Gefahr, daß Regierungen alles und jeden fast zu
53jeder Zeit flächendeckend beobachten. Wir mußten lernen, daß unsere
54Gesetze zur Umsetzung dieser Bestrebungen gebeugt und mißbraucht
55wurden."
56
57Der Verfahrensvertreter Daniel Carey von Deighton Pierce Glynn, der
58Kanzlei, die die Beschwerdeführer vertritt, sagte: "Der Europäische
59Gerichtshof für Menschenrechte hat den Fall bemerkenswert schnell der
60britischen Regierung vorgelegt und dessen Bearbeitung zu seiner
61Priorität erhoben. Das Gericht hat durch seine Aufforderung an die
62Regierung, zur Rechtmäßigkeit der Überwachungsvorgänge und den
63installierten Kontrollmechanismen Stellung zu nehmen, entschieden
64gehandelt. Dies läßt hoffen, daß das Gericht der Regierung bei weiterem
65Leugnen von Verstößen Reformen ins Stammbuch schreibt."\
66\
67Die Informatikerin und CCC-Sprecherin Constanze Kurz sagte: "Der
68Europäische Gerichtshof für Menschenrechte verlangt von der britischen
69Regierung dringlich Antworten. Es ist nun unerläßlich, daß die
70Menschenrechte und der Respekt vor der Privatsphäre von Millionen
71EU-Bürgern endlich auch von der britischen Regierung und dem Parlament,
72aber auch auf EU-Ebene die Priorität erfahren, die ihnen gebührt."
73
74**Links**:\
75\
76Britischer Geheimdienst GCHQ wegen Massenüberwachung vor dem
77Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte:
78<http://www.ccc.de/de/updates/2013/gchq>\
79\
80Privacy not PRISM: <https://www.privacynotprism.org.uk/>
81
82Auch auf nationaler Ebene hat sich der Chaos Computer Club einer
83Initiative der Internationalen Liga für Menschenrechte angeschlossen und
84wird – parallel zu Strafanzeigen der Ligen für Menschenrechte in
85Frankreich und Belgien – noch im Januar Strafanzeige gegen die
86Verantwortlichen der Geheimdienste sowie Mitglieder der Bundesregierung
87stellen. Gegenstand des Strafantrags wird die Verletzung der
88höchstpersönlichen Lebensbereiche der Bürger sein. Weiter soll geprüft
89werden, ob sich verantwortliche Personen der Spionage zugunsten der USA
90schuldig gemacht haben.
91
92**Weitere Informationen zum EGMR-Verfahren**:\
93\
94Die britischen Bürgerrechtsgruppen Big Brother Watch, Open Rights Group,
95der britische Schriftstellerverband PEN und die Informatikerin und
96Sprecherin des Chaos Computer Clubs haben am 4. September 2013 gegen den
97britischen Geheimdienst Government Communications Headquarters (GCHQ)
98wegen illegalen Eingriffs in die Privatsphäre von Millionen britischer
99und europäischer Bürger eine Beschwerde vor dem Europäischen Gerichtshof
100für Menschenrechte (EGMR) eingereicht. Kern der Beschwerde ist, daß
101unkontrollierte Überwachung einen Verstoß gegen Artikel 8 der
102Europäischen Menschenrechtskonvention darstellt, der allen EU-Bürgern
103ein Menschenrecht auf Privatsphäre einräumt. Jegliche Einschränkung
104dieses Grundrechts muß sowohl verhältnismäßig sein als auch im Einklang
105mit öffentlichen gesetzlichen Vorgaben stehen. Weder die Gesetze noch
106die geheimdienstliche Praxis in Großbritannien erfüllen diese Vorgaben.\
107\
108Die britischen Beschwerdeführer hatten ursprünglich versucht, ihren Fall
109einheimischen Gerichten vorzulegen, und am 3. Juli 2013 die britischen
110Regierung informiert, den Rechtsweg beschreiten zu wollen. Diese ließ
111jedoch verlauten, britische Gerichte würden den Fall nicht bearbeiten.
112Stattdessen solle man sich an die parlamentarische Geheimdienstkontrolle
113(Investigatory Powers Tribunal) wenden – jenes geheime Gremium, das für
114Beschwerden über Geheimdienste zuständig ist und dessen Ergebnisse nicht
115gerichtlich anfechtbar sind. Im Verfahren "Kennedy ./. Großbritannien"
116hat der EGMR festgestellt, daß vor dem Gang nach Straßburg keine
117vorherige Beschwerde bei der Geheimdienstkontrollbehörde notwendig ist,
118da es dessen Effizienz und Macht zur wirksamen Beseitigung der Mißstände
119bezweifelte. Die Beschwerdeführer haben daher ihren Fall beim EGMR
120vorgestellt, der nun entscheiden muß, ob die britischen Gesetze
121internationales Recht brechen. Es wird angenommen, daß es sich um den
122ersten Fall solcher Grundrechtsprüfung in Folge der Veröffentlichungen
123von Edward Snowden im Jahr 2013 handelt.\
124\
125Die Internet-Überwachung in Großbritannien ist hauptsächlich im Gesetz
126"Regulation of Investigatory Powers Act" (RIPA) geregelt, welches
127sicherstellen soll, daß Überwachung im Internet die Ausnahme und nicht
128die Regel wird. Offensichtlich ist das Gesetz gescheitert. Da die
129meisten Internetaktivitäten briitischer Benutzer technisch bedingt als
130international betrachtet werden, kann die Kommunikation unter Berufung
131auf Paragraph 8(4) RIPA von der GCHQ abgehört, gespeichert und
132ausgewertet werden. Die Befugnisse, im Rahmen des TEMPORA-Programms zu
133überwachen, scheinen als eine Art kontinuierlicher Blankoscheck
134ausgestellt zu sein. Darüberhinaus ist anzunehmen, daß die gewonnenen
135Informationen Partnergeheimdiensten wie der NSA frei zugänglich gemacht
136werden. Dies ist vergleichbar mit dem umfänglichen Abfangen, Speichern,
137Auswerten, Kopieren und dem Zugänglichmachen für die Geheimdienste der
138Welt von allen durch Großbritannien geleiteten Briefsendungen unter dem
139bloßen Vorwand der nationalen Sicherheit.\
140\
141Zur Zeit der Verabschiedung des RIPA war den Gesetzgebern nicht klar, ob
142Internetverbindungen in brauchbarer Art und Weise abgehört werden
143können. Ganz sicher gab es kein öffentliches Bewußtsein für die
144weitreichenden Folgen der Befugnisse, die den Geheimdiensten durch das
145Gesetz gewährt wurden.\
146\
147Ähnlich verhält es sich mit dem US-Pendant des Spähprogramms unter dem
148Namen PRISM, in dessen auch für den GCHQ verfügbaren Datensammlung sich
149ebenfalls Spuren der Internetaktivitäten vieler EU-Bürger wiederfinden.
150Bis zu den Veröffentlichungen war den britischen Aufsichtsbehörden diese
151Praxis gänzlich unbekannt. Die wichtigste dieser Behörden, das
152Parliamentary Intelligence and Security Committee, vergleichbar mit dem
153deutschen Parlamentarischen Kontrollgremium, stellte dem Programm nach
154nur kurzer Untersuchung innerhalb weniger Wochen einen Persilschein
155aus.\
156\
157Eine nähere Betrachtung legt jedoch nahe, daß die flüchtige Untersuchung
158einen nur zweiseitigen Bericht produzierte, der kaum die Spitze des
159Eisbergs beleuchtet. Dieses gesamte Fachgebiet der Geheimdienstpraxis
160ist vollständig rechtlich und verfahrenstechnisch unreguliert.\
161\
162Die Beschwerdeführer erwarten, daß der Gerichtshof die
163Überwachungspraktiken in Großbritannien für unverhältnismäßig befindet
164und feststellt, daß die Gesetzgebung zum Schutz der Privatsphäre
165ungeeignet ist. Die Praxis der routinemäßigen Bewilligung von
166Überwachungsanordnungen zeigt, daß die Kontrolle gescheitert ist
167und/oder umgangen wird sowie, daß die mit der Kontrolle Beauftragten
168versagt haben.\
169Die Beschwerdeführer erwarten, daß der Gerichtshof Großbritannien in die
170Pflicht nimmt, die Überwachungspraxis gesetzlich auf ein die Grundrechte
171beachtendes Maß zu begrenzen. Das bedeutet, die zu erwartenden neuen
172Gesetze müssen verhältnismäßig sein sowie einer strengen juristischen
173und öffentlichen Aufsicht unterliegen. Sie müssen regeln, daß die von
174Überwachung betroffenen Bürger (mindestens nachträglich) ausreichend
175informiert werden und daß Aufsichsbehörden mit genug Resourcen und
176Befugnissen ausgestattet werden, um die Umsetzung dieser Gesetze auch
177kontrollieren zu können. Kurzum: Es muß ein Rechtsrahmen geschaffen
178werden, der die Prinzipien der Umsetzung von Menschenrechten gegenüber
179Kommunikationsüberwachung anerkennt und gewährleistet. Weitere
180Informationen (auf Englisch):
181[https://en.necessaryandproportionate.org](https://en.necessaryandproportionate.org/text)).\
182\