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author46halbe <46halbe@berlin.ccc.de>2013-09-16 06:58:37 +0000
committer46halbe <46halbe@berlin.ccc.de>2020-05-23 13:39:30 +0000
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1title: Trügerische Sicherheit: Der elektronische Personalausweis
2date: 2013-09-15 20:52:00
3updated: 2013-09-16 06:58:37
4author: henning
5tags: update, pressemitteilung
6
7Auf die Frage, was uns alle die zwangsweise biometrische Vermessung für von Sicherheitslücken betroffenen Rohrkrepierer "elektronischer Personalausweis" kostet, hat die Bundesregierung nun einige Angaben gemacht. Zu den technischen Details der Antworten nimmt der Chaos Computer Club (CCC) hiermit Stellung.
8
9<!-- TEASER_END -->
10
11Die Marketing-Abteilungen der üblichen Industrie-Verdächtigen haben dem
12Bundesministerium des Innern (BMI) einige Stichworte aufgeschrieben, um
13kritische Nachfragen des Abgeordneten Jan Korte (Die Linke) zur
14Sicherheit und zu den Kosten des elektronischen Ausweises (ePA) zu
15parieren. Heraus kamen einige Aussagen, die wir nicht unkommentiert
16lassen wollen:
17
18Das BMI behauptet, es gäbe seit der Einführung des ePA "keinerlei
19Vorfälle, die Zweifel an der Sicherheit des Chips und der in ihm
20gespeicherten Daten hervorrufen". Ob Zweifel nicht doch angebracht
21wären, sei dahingestellt. \[6\] Daß bisher keine Fälle bekanntgeworden
22sind, ist im Umkehrschluß kein Beweis dafür, daß der im ePA verwendete
23Chip nicht bereits geöffnet, reverse engineered und geklont worden wäre.
24
25Das Reverse Engineering von Sicherheitschips ist ein ausgesprochen
26angesagtes Forschungs- und Interessensgebiet. Daß der im ePA verwendete
27Chip dran glauben wird, ist somit nur eine Frage der Zeit. Wohl nur das
28Desinteresse von Ausweisbesitzern und Unternehmen, die neuen Funktionen
29des ePA zu nutzen, kann erklären, warum bisher keine entsprechenden
30Ergebnisse publiziert wurden.
31
32Das unter Internetvollprofi Hans-Peter Friedrich irrlichternde
33Ministerium argumentiert außerdem, die vom Ausweis übertragenen
34Informationen seien "mit dauerhaft wirksamen \[...\]
35Verschlüsselungsverfahren sicher geschützt". Wie "dauerhaft" ein
36Verschlüsselungsverfahren Daten sichert, muß nicht nur angesichts der
37Snowden-Enthüllungen und der bekanntgewordenen Angriffe verschiedener
38Geheimdienste auf die Sicherheit kryptographischer Anwendungen neu
39bewertet werden, sondern auch anhand der kryptographischen Forschung.
40\[3\] Die Haltbarkeit von Schlüssellängen verschiedener Verfahren erwies
41sich in der gesamten Geschichte der Kryptographie stets als wenig
42"dauerhaft".
43
44Den Vogel schießt das BMI allerdings mit der Behauptung ab, der Bürger
45könne sich doch "durch regelmäßige Aktualisierung des Betriebssystems,
46ein aktuelles Virenschutzprogramm sowie eine Firewall schützen". Diese
47Behauptung ist nicht nur vielfach widerlegt, \[4\] sondern schiebt die
48Verantwortlichkeit einfach auf den Bürger ab – ganz so wie der
49Noch-Ministeriumschef statt Maßnahmen gegen NSA und GCHQ lieber zur
50Verschlüsselung der eigenen E-Mails rät.
51
52Moderne Schadsoftware wird oft nicht von Antiviren-Programmen und
53anderem Snake-Oil erkannt. Und wie eine Firewall gegen einen Keylogger
54helfen soll, möge das BMI bitte erst einmal erklären. Daß es aber
55möglich ist, unentdeckbare Spionagesoftware – beispielsweise auf dem
56Rechner eines Beschuldigten, der mit einem Staatstrojaner ausspioniert
57werden soll – zu verankern, sollte das BMI mittlerweile wissen. Immerhin
58nimmt es sich selber vor, das "Risiko einer Entdeckung \[des
59Staatstrojaners\] durch geeignete technische Maßnahmen so gering wie
60möglich" zu halten. \[5\]
61
62Eine bereits entlarvte Desinformation wiederholt das BMI ebenfalls: "Der
63Ausweis kann also bei Kenntnis der PIN nur missbraucht werden, wenn er
64selber zur Verfügung stünde (z. B. gestohlen wird) und die eID noch
65nicht im Sperrregister gesperrt wurde." Zwar ist derzeit noch kein
66Verfahren publiziert, wie ein ePA-Chip (zerstörungsfrei) geklont werden
67kann. Allerdings ignoriert des BMI folgendes praktisches Szenario: Ein
68Angreifer kann den kompletten Kartenleser inklusive des daraufliegenden
69ePA aus der Ferne übernehmen. \[4\], \[7\] Es mag sein, daß die
70Voraussetzungen für einen erfolgreichen breiten Angriff nur
71eingeschränkt vorhanden sind. Dennoch bestehen diese Risiken und sollten
72den ePA-Nutzern nicht weiterhin verschwiegen werden.
73
74Das BMI erspart uns auch nicht den Blümschen Imperativ: "Die
75Online-Ausweisfunktion ist sicher." Das Ministerium attestiert dem
76System weiterreichende Sicherheit als das bloße Verwenden veränderbarer
77Paßwörter. In Wahrheit wird aber gerade keine Rechtssicherheit
78hergestellt, obwohl mit dem ePA autorisierte Transaktionen rechtlich
79bindend sein sollen. Immerhin soll die Online-Ausweisfunktion gerade
80davor schützen, was Botnetze zehntausendfach ausnutzen: Nach der
81Übernahme der Kontrolle eines Rechners ist dieser prinzipiell nicht mehr
82vertrauenswürdig. Auch bei den Angriffen gegen das Online-Banking werden
83oft nicht die Paßwörter geklaut, sondern die Transaktionen im Browser
84manipuliert. Gegen solche in Echtzeit durchgeführten Angriffe während
85elektronischer Transaktionen schützt der ePA eben gerade nicht.
86Schlimmer noch: Der Benutzer wägt sich in trügerischer Sicherheit.
87
88Daß der Schutz gegen den "zunehmenden Identitätsdiebstahl im Internet",
89wie die Antwort des BMI behauptet, "wirksam" sei, ließe sich widerlegen,
90wenn die Technologie tatsächlich mal für irgendwas Relevantes genutzt
91würde. Im Rahmen einer Anhörung \[2\] der Internet-Enquête des Deutschen
92Bundestages attestierte der geladene Sachverständige des CCC, Thorsten
93Schröder, dem System, daß es den Identitätsdiebstahl erst begünstige.
94Zuvor hatte Kriminalhauptkommissar Mirko Manske (BKA) ausgeführt, daß
95insbesondere der Identitätsdiebstahl eine besonders große Rolle in der
96Internet-Kriminalität spiele. Manske bestätigte Schröders Ausführungen
97und bemerkte zur Manipulation von Transaktionen in Echtzeit, daß sich
98nicht mehr die Frage stelle, ob jemand eine Transaktion durchgeführt
99habe, sondern ob die getätigte Transaktion wirklich die gewesen sei, die
100er auslösen wollte. Durch die einmalige Identifizierung werde
101fälschlicherweise eine Sicherheit vorgegaukelt, so Manske.
102
103Die Gefahr durch die Einführung des ePA (im Behördenslang: nPA) besteht
104nicht durch die zugrundeliegende Technik selbst, sondern durch die
105mangelhafte Aufklärung und Sensibilisierung der Nutzer durch das BMI
106hinsichtlich der Risiken, die durch diese Verfahren unausweichlich
107vorhanden sind. Anstatt sich der Problematik zu stellen und die Risiken
108durch Aufklärung zu minimieren, setzt das BMI offenbar auf staatlich
109behauptete IT-Sicherheit und erklärt dem Trend der Zeit folgend das
110ePA-Sicherheitsproblem für beendet.
111
112Allein die Einführung des elektronischen Ausweises hat bis Ende 2011
113über 16 Millionen Euro gekostet, zusätzlich zu den 41 Millionen Euro für
114das irreführende Online-Ausweis-Marketing. Ende des Jahres dürfen wir
115vielleicht erfahren, was die Gesamtkosten des ePA-Experiments sind: Am
11630. Dezember soll der Rechnungsprüfungsausschuß über die Ausgaben
117informiert werden.
118
119Anders als beim biometrischen Gesichtsbild ist die Abgabe der
120Finderabdrücke für den ePA freiwillig, genauso wie das Aktivieren der
121Online-Ausweisfunktion. Ein einfaches Nein genügt.
122
123Links:
124
125- \[1\] [Antwort des Bundesministeriums des Innern auf die
126 schriftliche Frage des Abgeordneten Jan Korte (Die Linke) vom 9.
127 September](http://ccc.de/system/uploads/137/original/ePA-antwort.pdf)
128 (pdf)
129- \[2\] Enquête-Kommission Internet und digitale Gesellschaft,
130 Projektgruppe Zugang, Struktur und Sicherheit im Netz, [Protokoll
131 des öffentlichen
132 Expertengesprächs](http://www.bundestag.de/internetenquete/dokumentation/Zugang_Struktur_und_Sicherheit_im_Netz/PGZustrSi_2011-11-28_oeffentliches_Expertengespraech/PGZuStSi_2011-11-28_Expertengespraech_Protokoll.pdf), 28.
133 November 2011
134- \[3\] <http://www.keylength.com/>
135- \[4\] Chaos Computer Club (2010): [Praktische Demonstration
136 erheblicher Sicherheitsprobleme bei Schweizer SuisseID und deutschem
137 elektronischen
138 Personalausweis](http://www.ccc.de/de/updates/2010/sicherheitsprobleme-bei-suisseid-und-epa)
139- \[5\] Siehe auch:
140 <http://www.bmi.bund.de/SharedDocs/FAQs/DE/Themen/Sicherheit/Datenschutz/Online_Durchsuchungen.html>
141- \[6\] ["Die gesamte Technik ist sicher" – Besitz und Wissen:
142 Relay-Angriffe auf den neuen
143 Personalausweis](https://events.ccc.de/congress/2010/Fahrplan/events/4297.en.html)
144- \[7\] [Basisleser weiterhin kritische Schwachstelle des
145 elektronischen
146 Personalausweises](https://netzpolitik.org/2013/basisleser-weiterhin-kritische-schwachstelle-des-elektronischen-neuen-personalausweises/)
147
148Weitere Informationen: [https://www.ccc.de/de/biometrie](/de/biometrie)