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1title: Schwarzer Tag für die Demokratie in Hessen – Staatsgerichtshof lässt Wahlcomputer zu
2date: 2008-01-23 00:00:00
3updated: 2009-04-18 19:07:50
4author: erdgeist
5tags: update
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7Wie der Staatsgerichtshof in Hessen heute nachmittag bekannt gab, dürfen bei der hessischen Landtagswahl am kommenden Sonntag die NEDAP-Wahlcomputer nun doch eingesetzt werden. Das Gericht begründete seine Entscheidung mit formalen Gründen, da eine Überprüfung prinzipiell erst nach der Wahl in einem Wahlprüfungsverfahren zulässig sei. Zur Verfassungsmäßigkeit der Verwendung von Wahlcomputern hat das Gericht daher keine Stellung genommen. Der Chaos Computer Club (CCC) bedauert dies, da dem Land Hessen angesichts der prognostizierten engen Ergebnisse nun Nachwahlen drohen, sollte nach der Wahl ein Prüfungsverfahren angestrengt werden.
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11Der Chaos Computer Club (CCC) hatte mit Hilfe einer hessischen Wählerin
12am 4. Januar 2008 einen Antrag auf einstweilige Anordnung gestellt, um
13den Einsatz der umstrittenen Wahlcomputer bei der hessischen
14Landtagswahl zu verhindern. Der CCC kritisiert in diesem Antrag vor
15allem die fehlende Nachprüfbarkeit des Wahlergebnisses und bezweifelt
16die Amtlichkeit der Wahl insgesamt. Jahrelang versprach der deutsche
17Importeur HSG Wahlsysteme den Gemeinden, die teuren NEDAP-Wahlcomputer
18seien sicher. Erst die gemeinsamen Untersuchungen des CCC mit der
19niederländischen Stiftung "Wij vertrouwen Stemcomputers niet" hatten die
20Manipulationsanfälligkeit erwiesen. \[1\] Die auf Initiative des CCC
21gestarteten Wahlbeobachtungen hatten danach zudem schwere Mängel beim
22Einsatz der Wahlcomputer in den Gemeinden öffentlich gemacht.
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24Eine detaillierte Würdigung der technischen Sachverhalte führte das
25Gericht im Rahmen der Eilentscheidung nicht durch, da dies im Zweifel
26einer Wahlprüfung vorbehalten bleiben müsse. Durch diese Entscheidung
27wird tausenden hessischen Wählern die Möglichkeit zur Abgabe ihrer
28Stimme auf die traditionelle und vertrauenswürdige Weise mit Zettel und
29Stift verwehrt.
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31Wahlvorstände, Wahlhelfer und Wähler haben keine Möglichkeit mehr, die
32Wahl zu überprüfen – eine Nachzählung besteht einzig aus einem
33nochmaligen Ausdruck des Ergebniszettels. Nicht einmal die tatsächliche
34Übereinstimmung der eingesetzten Wahlcomputer mit der behaupteten
35Musterbauart oder die fehler- und manipulationsfreie Funktionsweise der
36Software im Computer ist nachvollziehbar. Diese bleiben nach wie vor
37Geschäftsgeheimnis des Herstellers.
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39Die Ablehnung des Antrages offenbart eine massive Lücke im Wahlrecht.
40Der Wähler kann das Wahlverfahren aus formalen Gründen nicht auf dem
41Rechtswege vorab prüfen lassen, obwohl hier offensichtlich
42schwerwiegende Bedenken vorliegen. Ihm wird nur der Weg des Einspruchs
43nach der Wahl bleiben.
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45Beim Chaos Computer Club haben sich bereits jetzt eine Reihe von Wählern
46gemeldet, die einen Wahleinspruch nach der Wahl beabsichtigen. Zur
47Feststellung von zu erwartenden Unregelmäßigkeiten und Verstößen gegen
48die – sachlich nicht zielführenden – Prozeduren bei der Wahldurchführung
49werden der CCC und befreundete Organisationen umfangreiche
50Wahlbeobachtungen durchführen. Bereits bei den vom hessischen
51Innenministerium als "Sicherheitsmaßnahme" angeordneten Testwahlen
52wurden umfangreiche Verstöße gegen die vorgeschriebenen Prozeduren
53beobachtet. Das Kernargument der Befürworter von NEDAP-Wahlcomputern
54ist, dass die Systeme zwar manipulierbar, aber durch zusätzliche
55Prozeduren hinreichend sicherbar seien. Diese Annahme wurde hier, wie
56auch bei vergangenen Wahlbeobachtungen, deutlich widerlegt.
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58Die Art und Weise, wie während des Verfahrens von Seiten der hessischen
59Regierung und der betroffenen Gemeinden argumentiert wurde, offenbart
60eine erschreckende Einstellung zu demokratischen Wahlen. Bequemlichkeit
61und Geschwindigkeit der Auszählung scheinen oberstes Ziel zu sein. Die
62verfassungsmäßigen Anforderungen an die Nachvollziehbarkeit und
63Amtlichkeit der Wahl sowie das Wahlgeheimnis werden zu bloßen
64Nebensächlichkeiten deklariert, der kritische Wähler zum Störfaktor
65erklärt.
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67Eine erschreckende Form der Demokratieverweigerung wurde in der
68Stellungnahme der Gemeinde Viernheim dokumentiert. Hier erklärten die
69beiden "Volksparteien" SPD und CDU in trauter Eintracht, keine
70Wahlhelfer entsenden zu wollen, wenn die Wahlcomputer verboten würden.
71Einige Wahlhelfer starteten gar eine Unterschriftenaktion, um auch in
72Zukunft nicht mehr zählen zu müssen. “Angesichts dieser Einstellung
73sollten die Viernheimer Politiker vielleicht eine Karriere in der einen
74oder anderen mittelasiatischen Diktatur ins Auge fassen. Dort wird ein
75reibungsloser Ablauf der Wahlen ohne Nachzählen auch sehr geschätzt,”
76kommentierte Dirk Engling, Sprecher des CCC.
77
78In einem weiteren Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht über die
79Zulässigkeit von Wahlcomputern im Zusammenhang mit der Bundestagswahl
802005 wird eine Entscheidung in den nächsten Monaten erwartet. Der Chaos
81Computer Club hatte für das Gericht eine ausführliche Darlegung der
82Manipulationsmöglichkeiten und prinzipiellen Probleme von Wahlcomputern
83verfasst. \[2\]
84
85Die Eilentscheidung des hessischen Staatsgerichtshofes wird die Bewegung
86zur Abschaffung von Wahlcomputern in Deutschland nicht aufhalten. Die
87zunehmenden Zweifel vieler Wähler an der Vertrauenswürdigkeit von
88NEDAP-Wahlcomputern sollten auch fortschrittsgläubigen Politikern zu
89denken geben. "Vielleicht wird auch in Deutschland bald nur noch darüber
90gestritten, ob ein Mandat ohne Manipulationen zu Stande gekommen ist.
91Mandatsträger sollten verstehen, dass eine wachsende Zahl an Bürgern
92berechtigte Zweifel an computerisierten Wahlverfahren haben", fasste
93CCC-Sprecher Dirk Engling zusammen.
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95### Links
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97- \[1\] [Detaillierte Informationen über die Schwachstellen der
98 Nedap-Wahlcomputer](http://www.wijvertrouwenstemcomputersniet.nl/Es3b-en.pdf)
99- \[2\] [Die Stellungnahme des Chaos Computer Club für das
100 Bundesverfassungsgericht vom 9. Juni
101 2007](/de/press/releases/2007/20070609/nedapReport54.pdf)