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title: CCC entsetzt über Softwarepatent-Äußerungen von Zypries
date: 2004-05-28 00:00:00 
updated: 2011-07-26 11:13:44 
author: fefe
tags: update, softwarepatente

Mit Entsetzen reagiert der Chaos Computer Club auf die jüngsten Äußerungen der Justizministerin Zypries zum Thema Softwarepatente.


<!-- TEASER_END -->

Am 28. Mai 2004 stellte sich Zypries im [Online-Streitgespräch des Heise
Verlags (c't,
Ix)](http://www.heise.de/chat/archiv/04/05/28/archiv.shtml) den Fragen
von ca. fünfhundert Internet-Nutzern und Software-Entwicklern. Dabei
verteidigte sie die [Handlungen der
Bundesregierung](http://www.heise.de/newsticker/meldung/47524) bezüglich
der umstrittenen Softwarepatentrichtlinie der Europäischen Union.

Der Chaos Computer Club fordert die Bundesregierung und das Europäische
Parlament auf, Software und Algorithmen auch weiterhin generell nicht
patentierbar zu halten. Konkurrenzfähigkeit und sogar das Überleben der
europäischen Softwarewirtschaft sind direkt davon abhängig, daß Software
und Algorithmen auch weiterhin nicht patentierbar bleiben. "Wenn das
durchkommt, können wir auf Jahre niemanden mehr einstellen, weil unser
Geld durch Patent-Streitigkeiten gebunden ist", sagte
Ex-CCC-Vorstandsmitglied Frank Rieger, selbst Gründer eines
mittelständischen High-Tech-Unternehmens.

Langfristig sollte die Europäische Union im Sinne des Chancenausgleichs
auch international auf eine Harmonisierung auf das Modell der nicht
patentierbaren Software und Algorithmen drängen, um einen echten
Wettbewerb kleiner Unternehmen mit den etablierten Konzernen mit ihren
riesigen Patentportfolios zu ermöglichen. Hier bietet sich der
Bundesregierung eine gute und einfache Möglichkeit, den Versprechen zur
Senkung der Arbeitslosigkeit auch Taten folgen zu lassen und neue
Arbeitsplätze in einer Wachstumsbranche zu schaffen.

Die Patentpolitik der Bundesregierung wurde offensichtlich ohne
Folgenabschätzung für die vornehmlich mittelständische Wirtschaft in
Deutschland geplant, für die die Einführung der Softwarepatente eine
existenzgefährdende Bedrohung darstellt. Ebenfalls katastrophal stellt
sich die Lage für die gerade hoffnungsvoll aufkeimende
Entwickler-Community freier Software wie Linux dar, weil in diesem
Entwicklungsmodell Lizenzgebühren unabhängig von ihrer Höhe ein
Ausschlußkriterium darstellen.

Selbst die wenigen inhaltlichen Argumente von Frau Zypries stellen sich
bei näherer Betrachtung als unwahr heraus, wie z. B. ihre Darstellung,
daß Patente ja lediglich sechzig Euro kosten würden und das könne sich
ja jeder leisten, daher sei das gerecht. Wahr ist, daß die *Anmeldung*
eines Patentes sechzig Euro kostet, die dazugehörige Recherche kostet
nochmal 250 Euro, das Prüfungsverfahren 350 Euro und das
Anmeldeverfahren für ein ergänzendes Schutzzertifikat dreihundert Euro.
Dann muß man ab dem dritten Jahr jeweils noch für die Aufrechterhaltung
des Patentes zahlen. Die diversen Kosten kann man dem Kostenmerkblatt
des Patent- und Markenamtes entnehmen:
<http://www.dpma.de/formulare/a9510.pdf>

Aber selbst wenn Patente kostenlos wären, stellt sich das strukturelle
Problem, daß man heute keine Software mehr entwickeln kann, ohne Patente
zu verletzen. Und selbst wenn man vor dem Beginn der Entwicklung
ausführlich recherchiert, können Patente trotzdem während der
Entwicklung erlassen werden, die am Ende die Früchte der Arbeit zunichte
machen. Das Ausmaß der bereits erlassenen Junk-Patente dokumentiert der
FFII eindrucksvoll auf <http://webshop.ffii.org/>. Der CCC weist
ausdrücklich darauf hin, daß diese Patente bereits erfolgreich
angemeldet wurden, im krassen Gegensatz zu den steten Beschwichtigungen
der Bundesregierung, "amerikanische Zustände" würden wir in Europa schon
vermeiden können, weil solche Patente geringer Erfindungshöhe gar nicht
erst erteilt würden.

Der Chaos Computer Club warnt eindringlich vor Software-Patenten und
ihren erstickenden Auswirkungen auf die Entwicklung freier Software in
Europa und Deutschland. Das ist eines der wenigen Gebiete, in denen
Europa noch weltweit technologisch an der Spitze steht. Exemplarisch
seien Linux (Finnland), KDE (Deutschland) und GnuPG (Deutschland)
erwähnt.

Aber auch für die mittelständische Softwarewirtschaft in Europa ist das
Patentsystem in der jetzt erlassenen Fassung ein Todesurteil. Gerade in
Europa besteht die Softwareindustrie zum Großteil aus kleinen und
mittelständischen Systemhäusern und Beratungsunternehmen, die sich wegen
des bisherigen unkritischen Patentrechtes das Anmelden von Patenten
weitgehend gespart haben, während die Großunternehmen (insbesondere die
internationalen Konzerne) ihre Patente üblicherweise präventiv in allen
wichtigen Märkten angemeldet haben. Diese Patente werden durch die neue
Gesetzgebung erstmals durchsetzbar. Wir können nicht nachvollziehen, wie
eine Regierung den Unternehmen ihrer Bürger so in den Rücken fallen
kann.