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title: CCC: Kabinett verspielt beim Entwurf zum Urheberrecht die Weichenstellung für die Zukunft und kriminalisiert die Schulhöfe
date: 2006-03-22 00:00:00 
updated: 2020-04-30 23:46:10 
author: kerstin
tags: update, urheberrecht

Zum heutigen Kabinettsentwurf des sogenannten "zweiten Korbs" der Urheberrechtsnovelle drückt der Chaos Computer Club e. V. (CCC) seine tiefe Enttäuschung über das kurzsichtige Handeln der Bundesregierung und ihre weitgehende Ignoranz gegenüber Verbraucherinteressen aus. Nach Ansicht des CCC führt insbesondere die Streichung der Bagatellklausel aus dem Entwurf zu einer Kriminalisierung breiter Bevölkerungsschichten. Den Buchstaben des Entwurfes folgend müßte es nach Inkrafttreten des Gesetzes zu einer Verhaftungswelle auf den Schulhöfen kommen.


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Mit dem Kabinettsentwurf wird deutlich, daß die Lobbymacht der
Rechteverwerter am Ende stark genug war, um Jusitizministerin Brigitte
Zypries (SPD) einknicken zu lassen. Die von ihr selbst als Kompromiß in
die Debatte eingebrachte Bagatellklausel für das geringfügige Anbieten
und Herunterladen von Medien in Dateitauschdiensten fehlt nun
vollständig. Weitere Verbraucherrechte werden in dem Entwurf ebenfalls
nicht beachtet, das Papier liest sich streckenweise wie eine Wunschliste
der Unterhaltungsindustrie. Weiterhin bleibt das Lippenbekenntnis zur
Privatkopie bestehen, die Verbraucherrechte laufen allerdings sofort ins
Leere, wenn die Industrie ihre Produkte mit Digitalem Rechtemanagement
(DRM) ausstattet und das Anfertigen von Kopien somit zur strafbaren
"Umgehung von Kopierschutzmechanismen" macht.

Auf weitere Probleme mit DRM für die Verbraucher geht der Entwurf
ebenfalls nicht ein. Nach Ansicht des CCC fehlt das klare Bekenntnis zu
Interoperabilität und Datenschutz. So schreibt der Entwurf – anders als
im Nachbarland Frankreich kürzlich beschlossen – nicht vor, daß beim
Einsatz von DRM Hersteller auch Schnittstellen bereitstellen müssen, um
DRM-behaftete Medien zu sichern. Der Verbraucher muß in Kauf nehmen, daß
er seine digitale Musiksammlung mit DRM verliert, wenn sein Abspielgerät
kaputtgeht. Auch dem Streben der Industrie, DRM zum Ausspähen von Kunden
einzusetzen, muß ein Riegel vorgeschoben werden. Informationen aus DRM
dürfen nicht benutzt werden, die Art und Weise sowie die Intensität des
privaten Werkgenusses aufzuzeichnen oder an eine zentrale Stelle zu
übermitteln. Dabei handelt es sich nicht um Gedankenspiele. Ende 2005
brachte die Firma Sony mehrere DRM-behaftete CDs auf den Markt, die auf
den Computern von nichtsahnenden Verbrauchern virenähnliche
Schadprogramme einnisteten. Eine generelle Kennzeichnungspflicht für mit
DRM versehene Medien ist dringend geboten. In Form und Gestaltung sollte
sich diese an den Warnhinweisen auf Zigarettenpackungen orientieren.

Der Chaos Computer Club fordert die verantwortlichen Politiker in den
Ausschüssen und in Bundestag und Bundesrat auf, dem vorliegenden
Gesetzesentwurf nicht zuzustimmen. Die Folgen für die Zukunft der
digitalen Gesellschaft wären fatal. Verbraucherrechte wie Datenschutz
und das Recht auf Privatkopie dürfen nicht hinter Industrieinteressen
zurückstehen. Ein in sich widersprüchlicher Gesetzentwurf, der
einerseits ein bißchen Privatkopie erlaubt, andererseits jede "Umgehung"
kriminalisiert und den Rechteverwertern einen Blankoscheck in Sachen DRM
ausstellt, ist nicht hinnehmbar. Anstatt den Startschuß zu geben zu
einer zu erwartenden Überlastung der Gerichte durch die massenhafte
Verfolgung meist jugendlicher Filesharer, muß die Politik in erster
Linie den Verbraucher vor einer immer hemmungsloser werdenden
Rechteverwerterlobby schützen.