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title: Chaos Computer Club hackt Basistechnologie des Hamburger Wahlstifts
date: 2007-10-25 00:00:00
updated: 2020-05-01 00:14:17
author: frank
tags: update, wahlstift, hamburg, wahlstifthack, pressemitteilung
Am 24. Februar 2008 soll in Hamburg mit dem neuen "Digitalen Wahlstift" gewählt werden. Durch eine grundlegende Änderung des Wahlrechts wird unter anderem ein Computer-Wahlverfahren eingeführt, das nur oberflächlich wie die vertraute Wahl mit Zettel und Stift aussieht.
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*[Update](/de/wahlstifthack/wahlstift-hack-waehlertaeuschung)*
Rein äußerlich soll der Wahlvorgang für die 1,2 Millionen Hamburger
Wähler in den Wahllokalen gleichbleiben. Jeder Wähler geht in die
Wahlkabine und kreuzt dort seine Stimmen auf dem Papier an. Dafür
bekommt er einen Digitalen Wahlstift ausgehändigt. Der elektronische
Stift zeichnet über ein für Menschen kaum sichtbares Muster auf dem
Stimmzettel auf, wo auf dem Papier der Wähler seine Kreuze macht. Der
Stift wird anschließend in eine Auslesestation gesteckt, um das digitale
Kreuz vom Stift über ein Kabel auf einen Laptop zu übertragen. Im Laptop
werden dann die Kreuze zu Stimmen umgerechnet. Am Wahlende wird aus den
gespeicherten Kreuzen ein Ergebnis errechnet, welches dann über einen
Drucker ausgegeben wird. Aus Gründen der Ausfallsicherheit werden alle
Stimmen zusätzlich auf einem USB-Stick gespeichert.
Laut dem neuen Hamburger Wahlgesetz sollen dabei ausschließlich die vom
Wahlstift aufgezeichneten digitalen Kreuze als Ausdruck des
Wählerwillens gelten, das Papier dient nur als wählerberuhigende
Dekoration. Folgerichtig werden die Stimmen auf dem Papier auch nur in
17 der ca. 1.300 Wahllokale zur Überprüfung nachgezählt. Stimmen, welche
nicht mit dem Digitalen Wahlstift, sondern erkennbar mit einem
herkömmlichen Kugelschreiber oder Füller abgegeben werden, gelten als
ungültig und werden aussortiert. Bei einer Differenz zwischen der
Stichprobenzählung und den digital ermittelten Stimmen zählen deshalb
nicht, wie vom Wähler erwartet, die Stimmzettel, sondern die vom
Computer ermittelten Ergebnisse. Bei der Briefwahl werden die Stimmen
von zwei Wahlhelfern mit dem Digitalen Stift nachgemalt, um damit
ebenfalls ein computergestütztes Ergebnis zu ermitteln.
Mit dieser Konstruktion wird dem Wähler nur eine Papierwahl
vorgegaukelt, de facto findet aber eine Computerwahl mit allen bekannten
Risiken und ohne Nachprüfbarkeit für den Wähler statt. Der Hamburger
Wahlstift reiht sich so nahtlos an die umstrittenen NEDAP-Wahlcomputer,
die gerade in den Niederlanden wegen zahlreicher Sicherheitsprobleme und
mangelnder Nachprüfkeit des Zustandekommens des Ergebnisses abgeschafft
wurden. \[1\]
Um die technische Sicherheit des Digitalen Wahlstift Systems (DWS) zu
belegen, wurde ein Schutzprofil nach den sogenannten Common Criteria
erstellt, einem Standard der eigentlich zur Standardisierung von
Teilbereichen der IT-Sicherheit, nicht aber für Wahlsysteme entwickelt
wurde. Die Verwendbarkeit von Common Criteria für die Beurteilung von
Wahlsystemen gilt demzufolge unter Experten als äußerst zweifelhaft.
Gegenstand des Schutzprofils soll dabei die Auslesestation und der
Wahlstift selbst, die Software auf dem Stift sowie die Auswertungs- und
Zählsoftware auf dem Laptop sein. Die Prüfung umfaßt jedoch nicht den
Drucker, den Laptop, auf dem Windows XP als Betriebssystem laufen wird,
und die zentrale Auswertungssoftware beim Statistikamt Nord. Die
ebenfalls beteiligte Physikalisch-Technische Bundesanstalt (PTB) führt
lediglich eine Prüfung zur funktionalen Korrektheit des Wahlstiftsystems
durch. Die PTB hatte schon die Wahlcomputer der Firma NEDAP für
Deutschland als sicher eingestuft, welche in den Niederlanden gerade
aufgrund von Sicherheitsbedenken komplett aus dem Verkehr gezogen
wurden. Daher ist es begrüßenswert, daß sie derzeit nicht mit Fragen der
Sicherheit des Systems befaßt ist.
Eine Manipulation der Wahl durch Innentäter, also etwa durch Wahlhelfer,
Administratoren der Behörde für Inneres oder Mitarbeiter der
Herstellerfirmen wird im Schutzprofil per Definition ausgeschlossen. Der
Sprecher des Chaos Computer Clubs, Dirk Engling, sagte dazu: "Die
Ignoranz gegenüber der Innentätergefahr entlarvt das konzeptionell
falsche Herangehen an computerisierte Wahlvorgänge. Es erinnert an einen
Flugzeugbauer, der bei der Konstruktion mal eben die Erdanziehung
vergißt und sich nachher wundert, daß das Flugzeug nicht abheben kann."
Die von Hersteller und Hamburger Senat getroffene Annahme, daß es keine
Innentäter geben wird, die eine Wahlfälschung versuchen würden,
disqualifiziert die Sicherheitsannahmen für das System vollständig.
Eine Veröffentlichung der Software des Digitalen Wahlstiftsystems und
damit der zugrundeliegenden Technik ist nicht vorgesehen, womit eine
öffentliche Prüfung durch unabhängige Sicherheitsexperten unterbunden
wird. Kritische Aussagen der Verfassungsexperten Dr. Stephanie
Schiedermair und Prof. Dr. Ulrich Karpen werden ignoriert. Auch
Warnungen von Sicherheitsexperten wie Prof. Dr. Klaus Brunnstein und dem
CCC wurden als theoretisch oder populistisch abgetan. "Die
Geheimniskrämerei erinnert fatal an das Vorgehen bei
NEDAP-Wahlcomputern, offenbar unterschätzen die Hamburger
Entscheidungsträger die Sicherheitsprobleme und haben aus dem Desaster
im Nachbarland Niederlande nichts gelernt", sagte CCC-Sprecher Dirk
Engling.
Obwohl der Chaos Computer Club vom Hamburger Wahlleiter kein komplettes
System für eine Analyse erhalten hat, konnten anhand der verfügbaren
Informationen und durch Untersuchung der Basistechnologie des
Wahlstifts, dem Anoto-Digitalstiftsystem, eine Reihe von schwerwiegenden
prinzipiellen Mängeln identifiziert werden. Dabei wurde das grundlegende
Problem computergestützter Wahlen – die mangelnde Überprüfbarkeit durch
den Wähler – überdeutlich.
Vor dem Hintergrund der prinzpiellen und sicherheitstechnischen Probleme
des Digitalen Wahlstifts, insbesondere der mangelnden Überprüfbarkeit
durch den Wähler, fordert der Chaos Computer Club den Hamburger
Gesetzgeber dazu auf, das Wahlstiftsystem aufzugeben. Selbst mit
massiver Nacharbeit an den heute sichtbaren Sicherheitslücken ist das
System prinzipbedingt nicht dazu geeignet, die Anforderungen an Wahlen
in Deutschland zu erfüllen.
### Weiterführende Informationen
\[1\]
[http://www.ccc.de/updates/2007/wahlcomputer-ausgemustert](/de/updates/2007/wahlcomputer-ausgemustert)
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