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title: Bundesverfassungsgericht schafft neues Grundrecht auf digitale Intimsphäre
date: 2008-02-27 00:00:00 
updated: 2009-11-07 17:50:16 
author: presse
tags: update, pressemitteilung, bundesverfassungsgericht

Das Bundesverfassungsgericht hat heute dem nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzgesetz, das die sogenannte Online-Durchsuchung von Computern und anderen informationstechnischen Systeme erlauben sollte, eine deutliche Absage erteilt. Zugleich definierten die Richter ein neues Grundrecht, das den Bürger in seinem digitalen Leben weitgehend vor dem Zugriff des Staats schützt.

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Mit ihrer Entscheidung stellten die Karlsruher Richter klar, daß die
Gesellschaft ein berechtigtes Interesse an der Vertraulichkeit und der
Integrität der informationstechnischen Systeme hat, auf die sie
zunehmend angewiesen ist. Die Gedanken seien auch dann frei, wenn sie
auf einem Computer gespeichert sind. Dieses Recht auf eine digitale
Intimsphäre fordert der Chaos Computer Club (CCC) seit über 25 Jahren.
Der Schutz des digitalen Ichs betreffe nicht nur Computer, sondern auch
Telefone und sonstige vernetzte Geräte. “Es bleibt zu hoffen, daß die
Internetausdrucker in der Politik kein weiteres Vierteljahrhundert
brauchen, bis sie dieses neue Grundrecht verinnerlichen”, kommentierte
der Sprecher des CCC, Dirk Engling.

In der mündlichen Urteilsbegründung betonten die Verfassungsrichter, daß
auch das systematische Abgreifen von Kommunikationsdaten und die
Erstellung von Persönlichkeitsprofilen schwere Grundrechtseingriffe
sind. “Wir gehen davon aus, daß diese Bewertung auch bei der
verfassungsrechtlichen Beurteilung der Vorratsdatenspeicherung zur
Anwendung kommt”, sagte CCC-Sprecher Dirk Engling. Gegen die im Januar
in Kraft getretene Vorratsdatenspeicherung liegen bereits mehrere
Verfassungsbeschwerden vor.

“Die Richter haben dem Gesetzgeber eine schallende Ohrfeige für seine
grundrechtswidrige Generalermächtigung zum Ausschnüffeln von
informationstechnischen Systemen aller Art verpaßt”, so Dirk Engling
weiter. “Nur noch in sehr engen Grenzen wird das Ausspionieren von
Festplatten möglich sein, das Bundesverfassungsgericht hat einen
digitalen Schutzschirm über das virtuelle Ich der Menschen gespannt.”

Auch die Auswertung von beschlagnahmten Daten wird sich an den Maßstäben
des neuen Grundrechts orientieren müssen. Die Prozeduren der
Ermittlungsbehörden bei der digitalen Beweiserhebung gehören jetzt
umgehend auf den Prüfstand. Die in letzter Zeit üblich gewordene
Durchfilzung von Festplatten durch Privatfirmen ist damit klar
verfassungswidrig. Zudem legten die Richter fest, daß informationeller
Selbstschutz durch Verschlüsselung von Daten ein Recht ist, das nur
unter sehr engen Voraussetzungen ausgehebelt werden darf.

Der Chaos Computer Club war zur Karlsruher Urteilsverkündung wieder mit
dem Symbol des Widerstands gegen die Online-Durchsuchung, den
schwarz-rot-goldenen Bundestrojaner, angereist. Die Grünen, die zuletzt
durch ihre klägliche Rolle beim Durchwinken der Spitzelgesetze Otto
Schilys und ihre Zustimmung zum Hackertoolverbot auffielen, versuchten
ihre neu entdeckte Liebe für die digitalen Bürgerrechte durch eine
Mahnwache vor dem Gericht zu demonstrieren. Hoffentlich bleibt diese
bürgerrechtsfreundliche Haltung bestehen, falls die Grünen erneut in
Regierungsverantwortung stehen.

Die Juristen werden sich in den nächsten Wochen mit der Interpretation
des Urteils befassen und die Folgen herausarbeiten müssen. “Der
Bundestrojaner wurde zwar regelrecht notgeschlachtet, doch weitere
wichtige Grundrechtsentscheidungen stehen an. Wir erwarten jedoch nicht,
daß Schäuble und Wiefelspütz plötzlich die Verfassung ernstnehmen. Das
neue Grundrecht wird erst durch aggressive Verteidigung und Anwendung
lebendig, hier sind wir alle gefragt”, so Dirk Engling.