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title: Chaos Computer Club verschenkt Spickzettel digitaler Bürgerrechte für die weiteren Koalitionsverhandlungen
date: 2009-10-16 17:08:00 
updated: 2009-10-19 22:01:43 
author: 46halbe
tags: update, pressemitteilung

Der Chaos Computer Club (CCC) publiziert aus Anlaß der laufenden Koalitionsverhandlungen einen Spickzettel für die Verhandler, in dem die wichtigsten und dringendsten Veränderungen im Bereich digitaler Bürgerrechte und Netzpolitik für das 21. Jahrhundert skizziert sind. Bei Bedarf kann auch eine gedruckte Version zugesandt werden.


<!-- TEASER_END -->

### Digitale Intimsphäre (Festplattenbeschlagnahme und Spionagesoftware)

Die auf Festplatten gespeicherten Daten spiegeln heute oft das gesamte
Leben eines Menschen wider. Die derzeitigen Regelungen in der
Strafprozeßordnung und weiteren Gesetzen sowie die polizeiliche Praxis
müssen an diese Entwicklung angepaßt und die vom
Bundesverfassungsgericht vorgegebenen Schranken umgesetzt werden. Das
Grundrecht auf Gewährleistung der Integrität und Vertraulichkeit von
informationstechnischen Systemen muß daher endlich seinen konkreten
Niederschlag in den Gesetzen finden. Es dürfen nicht weiterhin
informationstechnische Systeme beschlagnahmt und – teilweise von
privaten Dienstleistern – ausgewertet werden, ohne daß der Kernbereich
der privaten Lebensgestaltung beachtet wird. (Tipp an die FDP: Mal bei
den Parteikollegen Burkhard Hirsch und Gerhart Baum nachfragen für
Details.)

### Vorratsdatenspeicherung

Die Vorratsdatenspeicherung ist unverhältnismäßig und verändert unsere
Gesellschaft von Grund auf. Der Staat stellt alle seine Bürger unter
Generalverdacht, zeichnet das gesamte Kommunikationsverhalten und alle
Bewegungsprofile auf. Statt auf die Abschaffung durch das
Verfassungsgericht zu warten, ist hier aktives politisches Handeln
erforderlich, um diese eklatante Fehlentwicklung zu stoppen. Deutschland
muß hier eine internationale Vorbildrolle erfüllen und die
Vorratsdatenspeicherung beenden.

### Biometrie

Die ausgesprochen kostenträchtige vollständige biometrische Erfassung
aller Bürger muß ein Ende finden, ehe die ersten Datenskandale
passieren. Da kein nennenswerter Sicherheitsgewinn durch diese
biometrische Datensammlung entsteht, wäre jetzt ein guter Zeitpunkt für
die Notbremse, ehe der biometrische Personalausweis Pflicht wird. (Tipp:
Gesparte Millionen in die Bildung investieren.)

### TKÜ-Schwemme, Automatisierung und Outsourcing

Die Telekommunikationsüberwachung durch Ermittlungsbehörden hat sich,
wie von Kritikern vorhergesagt, explosionsartig entwickelt. Hier gilt
es, endlich einen Riegel vorzuschieben, da der Richtervorbehalt in der
Praxis zu einem reinen Abstempelvorgang verkommen ist. Der
Tatbestandskatalog für Telekommunikationsüberwachung muß daher auf das
Notwendige reduziert und die Genehmigungspraxis endlich restriktiver
reguliert werden. Besondere Gefahren drohen durch die zunehmende
Zentralisierung der Überwachungsinfrastruktur und durch die Tatsache,
daß viele Anbieter das Abhören der Gespräche und E-Mails auf in der
Praxis kaum kontrollierbare private Outsourcing-Anbieter verlagern.
Schäubles kostenträchtiges Lieblingsprojekt, das
Bundesüberwachungszentralamt, schafft durch Zentralisierung und
Intransparenz ebenfalls massive Risiken.

### BKA-Gesetz

Das BKA-Gesetz schafft eine Behörde, die wir in Deutschland aus gutem
Grund nie mehr wollen – eine Geheimpolizei. Bis auf Platitüden von
"abstrakter Gefährdungslage" bis "Schritthalten mit den Terroristen"
sind keine stichhaltigen Gründe für die beschlossenen weiteren 24
Ausweitungen von BKA-Ermittlungsbefugnissen genannt worden. Statt den
weiteren Abbau von Personal durch immer neue Überwachungstechnik zu
legitimieren, ist eine Umsteuerung zu besserer Polizeiarbeit notwendig.

### Internationaler Datenaustausch

Die bilateralen Abkommen, die den USA und weiteren Staaten
unkontrollierten Zugriff auf deutsche Datenbanken verschaffen, sowie die
Flugpassagierdatenübermittlung gehören eingeschränkt. Die deutsche
Regierung muß sich auf europäischer Ebene dafür starkmachen,
Drittstaaten nicht weiterhin Zugriff auf sensible Daten zu erlauben. Der
Staat muß hier die Schutzfunktion für seine Bürger auch im digitalen
Raum wahrnehmen.

### eGovernment

eGovernment muß in Zukunft so verstanden werden, daß vor allem
Regierungshandeln transparent wird, nicht der Bürger gläsern. Derzeitige
Projekte müssen vorbehaltlos auf Sinnhaftigkeit geprüft werden. Bloße
Industrieförderung darf nicht als Begründung für Vorhaben herhalten, die
den Bürger zu einem Datensatz degradieren. Richtschnur für
eGovernment-Vorhaben muß die Verbesserung der Bürgerservices, die
tatsächliche und nicht nur vorgebliche Entbürokratisierung sowie die
Transparentmachung und Nachvollziehbarkeit von Verwaltungshandeln sein.
Die Prozesse müssen so ausgelegt werden, daß Datenschutzprobleme
minimiert, zentrale Datenhaltung vermieden und Auskünfte nach
Informationsfreiheitsgesetz vereinfacht werden.

### Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik

Das durch die Einführung des Bundestrojaners, die Diskussion um eine
"Quellen-TKÜ" und die neuen umfangreichen Befugnisse des Bundesamts für
Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) entstandene Mißtrauen
gegenüber staatlichen Eingriffen in informationstechnische Systeme
beeinträchtigt nachhaltig den notwendigen Aufbau von zielgerichteten,
bürgerrechtskompatiblen Schutzmaßnahmen für deutsche IT-Systeme und
-Netze. Um hier zu einer unabhängigen Instanz zu kommen, die sich das
Vertrauen von Industrie und Nutzern wieder erarbeiten kann, ist eine
Neukonstituierung des BSI als unabhängige Behörde ohne Beteiligung oder
Weisungsbefugnis des Bundesinnenministeriums (BMI) erforderlich. Niemand
wird sonst den Beteuerungen glauben, daß das BSI nicht im Zweifelsfall
Handlanger der Überwachungsgier des BMI wird.

### Verbraucherschutz gegen Datenmissbrauch

Die Datenskandale der letzten Jahre haben eines gezeigt: Die Industrie
ist zum verantwortungsvollen Umgang mit sensiblen Daten von Verbrauchern
nicht in der Lage. Nur eine grundlegende Änderung des Verhältnisses
zwischen Datenverarbeitern und Bürgern kann hier Abhilfe schaffen. Der
CCC schlägt hierzu den Datenbrief vor, eine verpflichtende jährliche
Mitteilung an den Bürger über alle über ihn gespeicherten und
verarbeiteten Daten und deren Herkunft sowie Weitergabe. Zusätzlich ist
für neue Datenerhebungen eine explizite Zustimmung (opt-in) zur
Verarbeitung bzw. Weitergabe notwendig, die nicht an den Abschluß eines
Vertrages gekoppelt werden darf. Die Strafen für Datenverbrechen müssen
drastisch verschärft und eine persönliche Haftbarkeit von
Geschäftsführern für Verstöße eingeführt werden. Das Listenprivileg muß
endlich abgeschafft werden.

### Datenschutzbeauftragte stärken

Die Datenschutzbehörden in Bund und Ländern müssen personell und
finanziell gestärkt und strukturell unabhängig von den Innenministerien
werden. Betriebliche Datenschutzbeauftragte sollen endlich vergleichbare
Rechte wie Betriebsräte erhalten.

### Urheberrecht: Abschied von Verbraucherkriminalisierung

Die fortgesetzte Verzerrung der Rechtslage in der Urhebergesetzgebung
zugunsten der Verwerter führt zu einer Delegitimierung des Rechtsstaats.
Wenn weiterhin realitätsferne, auf den einseitigen Erhalt überholter
Geschäftsmodelle zielende Gesetze produziert werden, die schon aus
praktischen Erwägungen sogar von den Behörden ignoriert werden, verfällt
die Autorität des Rechts. Hier bedarf es neuer, verbraucherfreundlicher
und wirklichkeitsnaher Regelungen und gegebenenfalls staatlicher
Beihilfen für die Umstellung auf digitale Geschäftsmodelle, welche die
Interessen von Konsumenten und Autoren gegenüber den Verwertern stärken.
DRM-basierte Geschäftsmodelle dürfen nicht gefördert werden, da sie den
Erhalt von Kulturgütern durch Bibliotheken und die kreative Nutzung von
Werken verhindern.

### Zensur und Netzneutralität

Die Einführung von Zensurinfrastrukuren im Netz sind eine
Bankrotterklärung der Strafverfolger. Jede Regierung, die sich nicht
durch kurzsichtige Politik selbst ad absurdum führen will, muß
Netzneutralität und Zensurfreiheit im Netz auf ihre Agenda schreiben. Es
dürfen nicht weiterhin Politiker, die ohne vor Scham im Boden zu
versinken öffentlich sagen, sie hätten gern chinesische Verhältnisse,
Regierungspolitik machen. ([Innenpolitischer Sprecher der
CDU/CSU-Fraktion, Hans-Peter Uhl](http://polit-bash.org/?214)) Die
Netzneutralität für Internet-Anbieter – egal ob Fest- oder Mobilnetz –
muß gesetzlich festgeschrieben werden. Ohne eine solche Regelung sind
dramatische Verzerrungen des Wettbewerbs im digitalen Raum und die
zukünftige Ausblendung oder Benachteiligung von mißliebigen Inhalten
nicht zu verhindern.