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title: Bundesverfassungsgericht beendet elektronisches Wahlroulette
date: 2009-03-04 22:45:00 
updated: 2009-05-01 15:02:20 
author: admin
tags: update, pressemitteilung, wahlcomputer

Das Bundesverfassungsgericht hat heute entschieden, daß der Einsatz von Wahlcomputern nicht verfassungsgemäß ist. Vielmehr müssen Wahlen in Deutschland von jedermann ohne Expertenwissen nachvollzogen werden können. Der Verfassungsgrundsatz der Öffentlichkeit der Wahl, den der Chaos Computer Club zum Kernpunkt seiner Kampagne gegen Wahlcomputer gemacht hatte, wurde vom BVerfG als wesentlich für die Durchführung demokratischer Wahlen definiert. Hingegen ist die Geschwindigkeit der Ergebnisermittlung keine Anforderung an eine Wahl. Damit sind die bisher in Deutschland verwendeten NEDAP-Wahlcomputer nur noch Elektroschrott.

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In seiner heutigen [Entscheidung zur Verfassungsmäßigkeit der
Bundestagswahl im Jahre
2005](http://www.bundesverfassungsgericht.de/entscheidungen/cs20090303_2bvc000307.html)
haben die Karlsruher Richter klargestellt, dass nachvollziehbare und
geheime Wahlen zum Kern unseres demokratischen Systems gehören. Dieser
wird durch den Einsatz von Wahlcomputern ausgehöhlt. Es müsse auch
"Menschen ohne technische Fachkenntnisse" möglich sein, die Wahl
komplett nachzuvollziehen. Dazu dürfen Wählerstimmen zu keiner Zeit
einzig und allein in elektronischen Speichern abgelegt sein.

Die bisher praktizierte und vom Bundesinnenministerium und der
Physikalisch-Technischen Bundesanstalt propagierte Kultur des
Expertentums, bei der sich die Wähler auf eine vorab festgelegte
Vertrauenswürdigkeit der Computersysteme verlassen müssen, hat sich
damit erledigt. Der demokratische Urakt darf nicht der unmittelbaren
Kontrolle der Wählers entzogen werden.

*"Wer jetzt noch mit dem digitalen Zeitgeist oder der angeblich besseren
Effizienz elektronischer Wahlen argumentiert, hat nicht verstanden, was
das Wesen von Demokratie ist und sollte nicht weiter mit wesentlichen
Aspekten des Wahlvorgangs betraut werden"*, sagte Dirk Engling, Sprecher
des Chaos Computer Club.

Zwar hat das BVerfG die Tür für elektronische Wahlen einen Spalt breit
offengelassen, allerdings nur, wenn der Wähler jederzeit ohne
Fachkenntnisse die Korrektheit der Stimmabgabe und -auszählung
überprüfen kann. Diese Anforderungen an Wahlcomputer bedeuten jedoch
defacto ein Verbot, da die ökonomischen Argumente für den Einsatz von
Wahlcomputern hinfällig werden, sobald mindestens ein Wähler das
Nachzählen der Papierstimmen verlangt.

Engling kommentierte die vom Bundesverfassungsgericht errichteten
Hürden, *"Wir sind gespannt, ob zukünftige Hersteller von Wahlcomputern
in der Lage sind nachzuweisen, dass ihre Systeme den von den Richtern
bestimmten Grundsätzen entsprechen. Der CCC wird sicher sehr genau
hinschauen."*

Gleichzeitig stärkte das Bundesverfassungsgericht den Grundsatz der
geheimen Stimmabgabe, was die Einführung von Online-Wahlsystemen
erheblich erschwert. Kernprobleme etwa von Internet-Wahlsystemen sind –
neben der mangelnden öffentlichkeit – möglicher Stimmenkauf oder die
Abgabe einer Stimme von jemand anderem als dem Computerbesitzer.

Den Kommunen, die trotz umfangreicher öffentlicher Debatten über die
Wahlcomputer, auf die Werbeversprechen von 20-jähriger Verwendbarkeit
des Herstellers NEDAP hereingefallen sind, bleibt nun nur noch die
Schadensbegrenzung. *"Um nicht zum Endlager für Wahlcomputerschrott zu
werden, empfiehlt der CCC den betrogenen Kommunen, sofort Ansprüche
gegen die Hersteller der offensichtlich minderwertigen Systeme geltend
zu machen."*, so Engling weiter, *"Später würden diese höchstens noch
als unhandliche Schachcomputer zu gebrauchen sein."*