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title: Antwort auf den offenen Brief der Tatort-Drehbuchschreiber
date: 2012-03-29 17:30:00 
updated: 2012-03-29 23:49:13 
author: zas
tags: update, verwertungsindustrie, netzgemeinde, software, schutzfristen

Im Rahmen der Debatte zu einem moderneren Verwertungsrecht haben sich 51 Drehbuchautoren, die regelmäßig für den Tatort schreiben, zu Wort gemeldet. Zu diesem Brief möchten 51 Hacker des Chaos Computer Clubs (CCC) hier ein paar Anmerkungen loswerden.

<!-- TEASER_END -->

## Liebe Tatort-Drehbuchschreiber,

mit Freude nehmen wir – ganz kess als Vertreter der von Euch
angeprangerten "Netzgemeinde" – Euer Interesse \[1\] an unseren Gedanken
zu einer Versachlichung der Diskussion über Urheber- und
Urheberverwertungsrechte im digitalen Zeitalter wahr. Bevor wir aber
unnötig gleich zu Beginn Schubladen öffnen: Auch wir sind Urheber, sogar
Berufsurheber, um genau zu sein. Wir sind Programmierer, Hacker,
Gestalter, Musiker, Autoren von Büchern und Artikeln, bringen gar eigene
Zeitungen, Blogs und Podcasts heraus. Wir sprechen also nicht nur mit
Urhebern, wir sind selber welche.

Es wird daher keinen "historischen Kompromiß" geben, denn es stehen sich
nicht zwei Seiten gegenüber, jedenfalls nicht Urheber und Rezipienten,
sondern allenfalls prädigitale Ignoranten mit Rechteverwertungsfetisch
auf der einen Seite und Ihr und wir auf der anderen, die wir deren
Verträge aufgezwungen bekommen.

Das Tragische (im griechischen Sinne) ist doch, daß wir beide Opfer des
Verwertungssystems sind. Ihr schuftet Euch seit Jahren für die
Verwertungsindustrie ab und habt so viele Eurer Rechte weggegeben, daß
weder Ihr noch Eure Nachfahren von der verlängerten
Urheberrechtsschutzfrist etwas haben. Das ist bloß ein
Verhandlungsmittel, mit dem Ihr zu reduzieren hofft, wie doll Euch die
Verwertungsindustrie abzockt. Wir kämpfen eigentlich auf derselben
Seite, aber Ihr merkt es nicht einmal.

Bei uns ist das ganz ähnlich. Viel Software wird inzwischen gar nicht
mehr für Profit geschrieben, sondern frei ins Netz gestellt oder als
Selbstvermarkter-Shareware, weil den Autoren klar ist, daß sie nie einen
müden Cent sehen werden für ihr Werk. Für Software gibt es keine
Verwertungsgesellschaften, mangels historischen Präzedenzfalls. Wenn Ihr
Euch mal umschaut, werdet Ihr sehen, daß auch kein einziger von uns
Software-Autoren eine GEMA für Software fordert. Wir nehmen Euch nichts
weg, das wir für uns fordern. Wir haben uns nur von der Idee
verabschiedet, daß dieses Modell in zehn Jahren noch existieren wird.

Software im kommerziellen Bereich entsteht im Allgemeinen als
Werkvertrag oder unter Anstellung, und sämtliche Verwertungsrechte gehen
an die Auftraggeber. Kommt Euch das bekannt vor? Nur daß bei uns niemand
unsere Rechte zu vertreten versucht. Und wißt Ihr, welcher kreative
Bereich stärker wächst und mehr Umsatz macht, Eurer oder unserer?
Überraschung: Es stellt sich heraus, daß man auch ohne
Verwertungsindustrie überleben kann. Anstatt Euch an den Konsumenten
gütlich zu tun, solltet Ihr Eure Anstrengungen darauf konzentrieren, für
Eure Werke direkt vom Auftraggeber ordentlich entlohnt zu werden. Was
Ihr braucht ist eine den Namen verdienende, starke Gewerkschaft, kein
Monster aus Verwertungsgesellschaften, die dann Youtube langjährig
verklagen, weil sie kostenlos Werbung für Euch machen und Euch damit
zukünftige Aufträge verschaffen. \[2\]

Um die Anwürfe in Eurem offenen Brief zu sortieren:

-   "wir" würden eine apokalyptische Zeit der Kulturlosigkeit a la
    "Demolition Man" heraufbeschwören, um allen kostenlos Zugang zu
    aller Kultur zu verschaffen,
-   der Feind seien grundsätzlich alle nur an Geld und nicht an der
    Kultur interessierte Verwerter,
-   "wir" würden nicht anerkennen, daß sich Kulturdienstleister durch
    das Schaffen von Werken Eigentum akkumulieren dürften.

Die Pauschalkritik an Verwertern, die uns nun mit so bunt
zusammengeklaubten Kommentaren von so unterschiedlichen Quellen wie drei
Parteien und einer von Euch offensichtlich nicht ganz verstandenen
"Netzgemeinde" um die Ohren gehauen wird, ist so nie geäußert worden.
Dieser plumpe Diskussionsstil ist uns zuletzt bei den eben alle
Verwerter in einen Topf werfenden Zwölfjährigen begegnet, die gegen
Staat, GEMA und zu wenig Taschengeld rebellierend ihre Lieblingsmusik
für lau aus dem Netz ziehen und denen dafür jede Rechtfertigung recht
ist. Daß hier noch kein Equilibrium im Spannungsfeld zwischen neuen
Technologien und Werkschaffungen im Vor-Netz-Zeitalter erreicht ist, ist
offensichtlich. Dies ist jedoch kein Grund, uns als Netizens mit in
denselben Topf zu werfen.

Natürlich wird niemand behaupten, in den Filesharingdiensten würde
überwiegend Schostakowitsch getauscht. Dies ist keine Lebenslüge, auch
wenn es schade ist. Daß unerwünschtes Vervielfältigen von digitalen
Erzeugnissen nun zum gesamtgesellschaftlichen Problem wird, hat weniger
mit dem ebenfalls reformbedürftigen Verwertungsrecht zu tun, als mit dem
Abmahn-Unwesen, das zur Zeit viele gerade jüngere, nicht adäquat
versorgte potentielle Konsumenten eiskalt erwischt.

Die Verkürzung eines Schutzrechts ist dabei auch nur eins der Werkzeuge,
um gerade Euch (oder besser gesagt Euch und uns) Fallstricke beim
Ausüben unserer Berufe auszuräumen. Gerade Ihr solltet doch – bei der
recht dünnen Menge potentieller Krimiplots \[3\]– verstehen, daß
Plagiatsanwürfe beim Verwenden von Versatzstücken zu einem horrenden
Minenfeld werden. Wir (jetzt in einer Rolle) als Softwareurheber bewegen
uns seit zu langer Zeit schon in genau jenem
Software-Trivialpatente-Minenfeld, wir verstehen ganz gut, wohin der Zug
geht.

Wir sollen also die Finger von den Schutzfristen lassen. Oh bitte, es
bluten einem die Ohren bei diesem ewiggestrigen Singsang, den wir uns
seit Jahren anhören müssen, während alle paar Jahre die Fristen
verlängert werden. Wir sind jetzt bald bei einer Länge von einem
Jahrhundert angekommen, und da bringt Ihr echt das Argument, man dürfe
die Schutzfristen nicht anrühren? Wir glauben, es hackt. Das ist das
Digitalzeitalter, Freunde, wir wissen nicht mal, wie wir digitale Daten
ein ganzes Jahrhundert lang bewahren sollen. Die Archive und
Bibliotheken haben noch nicht mal annähernd ein Konzept dafür. Und diese
DRM-Grütze und der Mangel an offenen Formaten, das sind die Probleme,
und beides hat einen Zusammenhang zu Schutzfristen. Nicht nur deswegen
müssen sie radikal verkürzt werden, sondern auch, weil selbst Ihr auf
den Schultern von Riesen steht, denen Ihr gefälligst Tribut zu zahlen
habt.

Sir Arthur Conan Doyle schrieb dazu: »Wenn jeder Autor, der ein Honorar
für eine Geschichte erhält, die ihre Entstehung Poe verdankt, den
Zehnten für ein Monument des Meisters abgeben müßte, dann ergäbe das
eine Pyramide so hoch wie die von Cheops.«

Das von Euch als gottgegeben hingestellte sogenannte "geistige Eigentum"
ist bei näherem Hinsehen eine Chimäre jüngeren Datums, gerne als
unsachlicher Kampfbegriff angeführt, um gewisse grundsätzliche
Diskussionen zu vermeiden. In den letzten Jahren sind dazu viele – auch
sehr ausgewogene – Kommentare verfaßt worden. \[4\]

Daß einige Verwertungsgesellschaften mit dem simplen Fakt überfordert
sind, das Kopieren von Werken nicht verhindern zu können, ändert nichts
an der Tatsache, daß früher wie jetzt eine grundsätzliche Bereitschaft
besteht, Kulturdienstleister angemessen zu entlohnen. Wo es Wege gibt,
streßfrei und ohne Gängelungen Werke zu fairen Konditionen zu beziehen,
werden diese ausgiebig genutzt, seien es App-Stores für Mobiltelefone
oder "Music Stores" mit einfachen Bezahlmodellen. E-Book-Geschäfte sind
ebenso gerade im Kommen, hakeln allerdings wegen der unausgereiften
DRM-Technologie ein wenig. In der Netzgemeinde werden über moderne
Konzepte wie "Flattr" sogar einzelne Wortbeiträge in Blogs oder für
Podcasts entlohnt. (Beispiel: \[5\])

Daß diese Transition nicht für jeden einfach ist, können wir
nachvollziehen. Und das Verbandsklagerecht fordern wir übrigens auch
schon seit Jahren. Und wer hat uns verraten? Richtig.

Gerade Ihr als Tatort-Autoren, deren Brötchen zum großen Teil über die
Rundfunkgebühren bezahlt werden, solltet wissen, wie sich eine
Kulturflatrate anfühlt. Hier hungern Urheber nicht. Aber gerade diese
Verwertungsgesellschaft, die Eure Tatort-Drehbücher entlohnt, ist das
beste Beispiel, wie sich ein verselbständigter Wasserkopf mehr und mehr
der eigentlich Euch zustehenden Anteile am ausgestrahlten Werk
einverleibt. Hand hoch, wieviele von Euch sind festangestellt? Wieviele
wurden in den letzten Jahren durch Vertragsveränderungen bei den
Landesmedienanstalten auch noch der Zweitverwertungsrechte im Netz
beraubt? Na, und wie fühlt sich der Blick in Eure Buy-Out-Verträge an,
wenn Ihr ehrlich seid? Stockholmsyndrom?

Da war noch was: Wir sollten mal mit unseren Kulturpolitikern reden,
meint Ihr. Was für eine tolle Idee, als laberten wir denen nicht schon
Blumenkohl ans Ohr seit einem Jahrzehnt. Hier müssen wir aber doch mal
auf ein paar wohlfeile Unterschiede zwischen den von Euch
zusammengemanschten Parteien Wert legen: Mit grünen Kulturpolitikern zu
reden, ist wie mit einer Wand. Sie hören selten zu, haben in den letzten
Jahren keine einzige zeitgemäße Idee zum Verwertungsrecht umsetzen
können und eine konservative Grundhaltung, die selbst Ansgar Heveling
eine Freude wär. (Ausnahmen bestätigen die Regel.) Die Piraten haben
keine Kulturpolitikerinnen. Die linken Kulturpolitiker sind ganz
entgegen anderslautender Gerüchte die mit Abstand progressivsten, die
neue Ideen auch gern mal durchdenken. Natürlich hätten sie eh keine
Macht, etwas umzusetzen, da diskutiert es sich eben einfacher.

Na, jetzt eine Idee, wieso wir das mal einfach auf eigene Faust machen?
Genau.

\[1\] [Offener Brief von 51
Tatort-Autoren](http://www.drehbuchautoren.de/nachrichten/2012/03/offener-brief-von-51-tatort-autoren-0)

\[2\] [Kulturwertmark](http://www.ccc.de/de/updates/2011/kulturwertmark)

\[3\] <http://www.zeit.de/2012/13/Krimi-Tatort/komplettansicht>

\[4\] Ansgar Ohly, Diethelm Klippel (Hg.): Geistiges Eigentum und
Gemeinfreiheit, Tübingen: Mohr Siebeck 2007.

\[5\] [CRE (früher Chaosradio Express)](http://cre.fm/)