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title: Wissenschaftliches Gutachten belegt: keine "Schutzlücke" ohne Vorratsdatenspeicherung
date: 2012-01-27 00:25:00 
updated: 2012-01-27 01:04:42 
author: erdgeist
tags: update, pressemitteilung, vds, vorratsdatenspeicherung, gutachten, mpi
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Dem Chaos Computer Club (CCC) wurde ein wissenschaftliches Gutachten der kriminologischen Abteilung des Max-Planck-Instituts (MPI) für ausländisches und internationales Strafrecht zugespielt, das sich detailliert mit der Frage der angeblichen "Schutzlücke" durch den Wegfall der Vorratsdatenspeicherung nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 2. März 2010 beschäftigt. Die Studie kommt zum eindeutigen Ergebnis, daß eine solche immer wieder behauptete Lücke nicht besteht. Die angebliche Notwendigkeit der Speicherung von 300 bis 500 Millionen Datensätzen pro Tag kann laut der Untersuchung nicht durch kriminologische Statistiken belegt werden.

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Der CCC publiziert das 271-seitige Dokument, um endlich eine
faktenbezogene Diskussion um die angebliche Notwendigkeit der
Vorratsdatenspeicherung zu ermöglichen. "Die umfangreiche europaweite
Erhebung und Auswertung des MPI offenbart, daß die Stammtischparolen von
der 'Schutzlücke' durch den Wegfall der anlaßlosen
Telekommunikationsdatenspeicherung keine Faktenbasis haben", faßte
CCC-Sprecher Frank Rieger die Ergebnisse der Studie zusammen. "Die
Vorratsdatenspeicherung führt nachweislich nicht zu höheren
Aufklärungsquoten bei schweren Verbrechen." Das Gutachten vom Juli 2011
betrachtet detailliert Deliktsbereiche hinsichtlich ihrer
Aufklärungsquoten. Für den Zeitraum, in dem es in Deutschland eine
Vorratsdatenspeicherung gab, ist kein positiver Effekt auf die
Aufklärungsquoten zu verzeichnen. Aber auch nach dem Ende der
Vorratsdatenspeicherung durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts
vom 2. März 2010 war kein Abfall der Quote der aufgeklärten Fälle zu
beobachten.

Weiterhin verglichen die MPI-Forscher die Situation und Entwicklungen in
anderen europäischen Ländern und zogen auch die Daten aus der auf
EU-Ebene durchgeführten, äußerst unzureichenden "Evaluation" heran.
Zudem wurden Ermittler, Staatsanwälte und Richter befragt. Auch im
direkten Vergleich mit anderen europäischen Ländern, die derzeit eine
Vorratsdatenspeicherung umsetzen, ist keine deutsche "Schutzlücke"
feststellbar.

Die Studie bemängelt weiterhin das Fehlen systematischer empirischer
Untersuchungen zu den Auswirkungen der anlaßlosen Massenerfassung. Auch
in Zukunft sind solche wissenschaftlichen Evaluationen aus Kostengründen
nicht einmal geplant. Entsprechend werden von den Befürwortern der
anlaßlosen Massenspeicherung lediglich Einzelfälle herangezogen, um die
Notwendigkeit der Datenhalden herbeizureden.

"Der hartnäckige Unwille, technische Ermittlungsmaßnahmen, die tief in
Grundrechte eingreifen, einer regelmäßigen neutralen Evaluierung zu
unterwerfen, setzt sich hier fort", erklärte CCC-Sprecher Frank Rieger.
"Innenpolitiker und Sicherheitsbehörden sehen offenbar keinen Bedarf an
einer sachlichen, faktengestützten Diskussion und versuchen stattdessen
immer wieder, mit Einzelfällen und Anekdoten die öffentliche Meinung zu
manipulieren." Laut dem MPI-Gutachten halten solche in der öffentlichen
Debatte gern verwendeten Fallbeschreibungen einer nüchternen
wissenschaftlichen Überprüfung oftmals nicht stand.

Selbst beim Lieblingsthema der Sicherheitspolitiker, dem islamistischen
Terror, liegen keinerlei Hinweise dafür vor, daß auf Vorrat gespeicherte
Verkehrsdaten in den letzten Jahren zur Verhinderung eines
Terroranschlags geführt hätten, wie die MPI-Untersuchung feststellt.

Das Gutachten betrachtet nüchtern die kriminologischen Effekte der
Vorratsdatenspeicherung und kommt zu dem eindeutigen Schluß, daß die
behauptete Schutzlücke nicht besteht. Nicht erst aufgrund dieser
Erkenntnis fordert der CCC daher erneut, auf eine massenhafte
verdachtslose Speicherung von Telekommunikationsdaten zu verzichten.

## Links:

Gutachten des MPI: ["Schutzlücken durch Wegfall der
Vorratsdatenspeicherung? Eine Untersuchung zu Problemen der
Gefahrenabwehr und Strafverfolgung bei Fehlen gespeicherter
Telekommunikationsverkehrsdaten"](http://vds.brauchts.net/MPI_VDS_Studie.pdf "Gutachten des MPI")