summaryrefslogtreecommitdiff
path: root/updates/2012/stellungnahmeatdg.md
blob: 7a5922e1c3da3efddffcfe27aa5c8cbbedb7d69f (plain)
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
21
22
23
24
25
26
27
28
29
30
31
32
33
34
35
36
37
38
39
40
41
42
43
44
45
46
47
48
49
50
51
52
53
54
55
56
57
58
59
60
61
62
63
64
65
66
67
68
69
70
71
72
73
74
75
76
77
78
79
80
81
title: CCC veröffentlicht schriftliche Stellungnahme zur Antiterrordatei
date: 2012-11-27 14:32:00 
updated: 2012-11-27 15:03:37 
author: 46halbe
tags: update, pressemitteilung

Anläßlich einer Anhörung am 6. November 2012 wurde der Chaos Computer Club (CCC) im Rahmen eines Beschwerdeverfahren gegen das Antiterrordateigesetz (ATDG) vor dem Bundesverfassungsgericht als Sachverständiger befragt. Die vorgetragenen Argumente wurden nun in einer kurzen schriftlichen Stellungnahme zusammengefaßt.

<!-- TEASER_END -->

In der Stellungnahme \[1\] werden technische Fragen und damit
zusammenhängende Grundrechtsverstöße bei dem im Jahr 2006 beschlossenen
Gesetz erörtert. Der CCC kritisiert offensichtliche und inhärente Mängel
des Antiterrordateigesetzes und zeigt plausible, schwer zu vermeidende
Mißbrauchsszenarien auf.

Nicht nur nach Meinung des CCC wird durch das ATDG eine notwendige
rechtsstaatliche Grenze zwischen Polizeiaufgaben und den Befugnissen der
Geheimdienste verwischt. Juristisch umstritten ist vor allem das
sogenannte Trennungsgebot. Es sollte und soll absichern, dass nach den
Erfahrungen des Zweiten Weltkrieges Polizeien und Geheimdienste nicht
noch einmal zu eng kooperieren. Es sollte und soll verhindern, daß
Menschen einer Gesinnungsstrafbarkeit unterworfen werden können und
außerhalb gerichtlicher Kontrolle heimlichen Überwachungen ausgesetzt
sind. Nicht nur den Diensten, auch einer beinahe unüberschaubaren Zahl
von Behörden wird jedoch mit der ATD die Möglichkeit verschafft,
Menschen ein nur schwammig definiertes Terror-Stigma anzuheften. Von
einem Eintrag in der Datenbank und dessen Ursprung erfährt der
Betroffene – wenn überhaupt – nur über Umwege. Einem Menschen, der in
der ATD als mutmaßlicher "Terrorist" geführt wird, sowie dessen
Kontaktpersonen ist es praktisch unmöglich, sich gegen das
stigmatisierende Merkmal zur Wehr zu setzen.

Weiter zeigt der CCC auf, wie die Geheimdienste, deren Weiterbestehen
nach den NSU-Skandalen ohnehin zur Diskussion steht, das Werkzeug ATD
technisch mißbrauchen können. Um kriminelle Informanten und Spitzel der
Dienste – wie jüngst im NSU-Fall geschehen \[4\] – vor dem Zugriff der
ebenfalls auf die Datenbank zugreifenden Strafverfolger zu warnen,
bietet die ATD den Geheimdiensten informationelle Privilegien gegenüber
den Polizeibehörden.

Nicht akzeptabel sind auch die unklaren Kontrollmöglichkeiten der
datenschutzrechtlich zuständigen Behörden der Landes- und
Bundesdatenschützer. Das verlorene Vertrauen in die Polizeibehörden und
Dienste bei IT-Fragen kann aber nur wiedergewonnen werden, wenn eine
wirksame Kontrolle im Gesetz festgeschrieben ist und auch stattfindet.
Nicht erst seit der Analyse der von ihnen eingesetzten Staatstrojaner
kann davon keine Rede mehr sein. Bis heute scheinen keine geeigneten
Entwickler den ehrlosen Job der Programmierung der staatlichen
Spionagesoftware angenommen zu haben. \[5\]

Die Regierung wirbt in penetranter Form um Vertrauen der Bürger in ihre
Tätigkeit als Sicherungsmacht, ohne jedoch wirksame Mechanismen
rechtsstaatlicher Kontrolle sicherzustellen. Bei den über 18.000
angeblichen Terrorverdächtigen in der Datenbank müßte bereits von einer
Zersetzung unserer Zivilgesellschaft ausgegangen werden. Allein diese
hohe Zahl beweist die mißbräuchliche Anwendung des Gesetzes.

 

**Links**:

\[1\] Schriftliche Stellungnahme des CCC an das Bundesverfassungsgericht
anläßlich der Anhörung am 6. November 2012, 1 BvR 1215/07:
<http://www.ccc.de/system/uploads/124/original/antiterrordatei-final.pdf>

\[2\] Mitteilung des Bundesverfassungsgerichts zum ATDG-Verfahren:
<http://www.bundesverfassungsgericht.de/pressemitteilungen/bvg12-074.html>

\[3\] "Die Antiterrordatei ist digitale Gewalt", Interview
tagesschau.de: <http://www.tagesschau.de/inland/terrordati100.html>

\[4\] Der SPIEGEL 45/12, S. 38–41.

\[5\] [Stellenausschreibung Programmierer für den
Staatstrojaner](http://www.vsz.bund.de/SharedDocs/Stellenausschreibungen/030__GehobenerDienst/BKA__30__2012__28122012.html?__nnn=true)
(und als Sicherheitskopie:
<http://www.ccc.de/system/uploads/125/original/Stellenausschreibung_Bundestrojaner.png>)

\[6\] Wenn alle Daten fließen, FAZ vom 6. November 2012:
<http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/antiterrordatei-wenn-alle-daten-fliessen-11948723.html>