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title: Gemeinsame Erklärung zivilgesellschaftlicher Organisationen: Staaten müssen beim Einsatz digitaler Überwachungstechnologien zur Bekämpfung von Pandemien die Menschenrechte achten
date: 2020-04-03 00:01:03 
updated: 2020-04-06 15:27:35 
author: 46halbe
tags: update, pressemitteilung

Die COVID-19-Pandemie ist ein globaler Gesundheitsnotstand, der eine koordinierte und groß angelegte Reaktion aller Regierungen weltweit erfordert. Die Anstrengungen der Staaten, das Virus einzudämmen, dürfen jedoch nicht in eine neue Ära der invasiven digitalen Überwachung münden.

<!-- TEASER_END -->

Wir als unterzeichnende Organisationen fordern die Regierungen
nachdrücklich auf, bei der Bekämpfung der Pandemie sicherzustellen, dass
der Einsatz digitaler Technologien zur Verfolgung und Überwachung von
Einzelpersonen und Bevölkerungsgruppen streng im Einklang mit den
Menschenrechten erfolgt.

Technologie kann und soll bei diesen Anstrengungen, Leben zu retten,
eine wichtige Rolle spielen, etwa bei der Verbreitung von Nachrichten zu
Gesundheitsthemen und bei der Verbesserung des Zugangs zur
Gesundheitsversorgung. Eine Zunahme von nicht freiwilligen digitalen
Überwachungsbefugnissen des Staates, wie beim Zugang zu den
Standortdaten von Mobiltelefonen, bedroht jedoch die Privatsphäre, die
Meinungs- und Versammlungsfreiheit in einer Weise, die Rechte verletzen
und das Vertrauen in die Behörden herabsetzen könnte – und damit die
Wirksamkeit jeglicher Maßnahmen im Bereich des Gesundheitswesens
untergräbt. Solche Maßnahmen stellen auch ein Risiko der Diskriminierung
dar und können bereits marginalisierte Gemeinschaften unverhältnismäßig
schaden.

Es sind außergewöhnliche Zeiten, aber die Menschenrechte gelten nach wie
vor. Die Struktur der Menschenrechte ist in der Tat so gestaltet, dass
die verschiedenen Rechte sorgfältig ausbalanciert werden können, um
einzelne Personen und die Gesellschaft insgesamt zu schützen. Dabei
können Staaten Rechte wie die Privatsphäre und die Meinungsfreiheit
nicht einfach im Rahmen der Bewältigung einer Krise im Bereich des
Gesundheitswesens missachten. Vielmehr wird durch einen Schutz der
Menschenrechte auch das Gesundheitswesen gestärkt. Mehr denn je müssen
die Regierungen jetzt rigoros sicherstellen, dass jegliche Einschränkung
dieser Rechte mit den seit langem bestehenden Menschenrechtsstandards in
Einklang steht.

Diese Krise bietet eine Gelegenheit, unsere gemeinsame Menschlichkeit zu
demonstrieren. Wir können außerordentliche Anstrengungen zur Bekämpfung
dieser Pandemie unternehmen, die mit den Menschenrechtsstandards und der
Rechtsstaatlichkeit in Einklang stehen. Die Entscheidungen der
Regierungen, um der Pandemie zu begegnen, werden das zukünftige Aussehen
der Welt prägen.

Wir rufen alle Regierungen auf, auf die COVID-19-Pandemie nicht mit
einer verstärkten digitalen Überwachung zu reagieren, es sei denn, die
folgenden Bedingungen sind erfüllt:

1.  Überwachungsmaßnahmen, die zur Bewältigung der Krise angewandt
    werden, müssen rechtmäßig, notwendig und verhältnismäßig sein. Sie
    müssen gesetzlich vorgesehen und durch berechtigte Ziele der
    öffentlichen Gesundheit, die von den zuständigen Gesundheitsbehörden
    festgelegt werden, gerechtfertigt sein und in einem angemessenen
    Verhältnis zu diesen Bedürfnissen stehen. Die Regierungen müssen die
    von ihnen ergriffenen Maßnahmen transparent machen, damit sie
    überprüft und gegebenenfalls später geändert, zurückgezogen oder
    aufgehoben werden können. Wir dürfen nicht zulassen, dass die
    COVID-19-Pandemie als Vorwand für eine wahllose Massenüberwachung
    dient.
2.  Wenn Regierungen ihre Überwachungs- und Kontrollbefugnisse
    ausweiten, dann müssen diese Befugnisse zeitlich begrenzt sein und
    dürfen nur so lange fortbestehen, wie es nötig ist, um die aktuelle
    Pandemie zu bekämpfen. Wir können nicht zulassen, dass die
    COVID-19-Pandemie als Vorwand für Überwachung auf unbestimmte Zeit
    dient.
3.  Staaten müssen sicherstellen, dass eine verstärkte Sammlung,
    Speicherung und Aggregation von persönlichen Daten, einschließlich
    Gesundheitsdaten, nur für die Zwecke der Bewältigung der
    COVID-19-Pandemie erfolgt. Daten, die zur Bewältigung der Pandemie
    gesammelt, aufbewahrt und aggregiert werden, müssen in ihrem Umfang
    begrenzt und zeitlich auf die Pandemie bezogen sein und dürfen nicht
    für kommerzielle oder andere Zwecke verwendet werden. Wir können
    nicht zulassen, dass die COVID-19-Pandemie als Vorwand dient, um das
    Recht des Einzelnen auf Privatsphäre auszuhöhlen.
4.  Die Regierungen müssen alle Anstrengungen unternehmen, um die Daten
    der Menschen zu schützen, einschließlich der Gewährleistung einer
    ausreichenden Sicherheit aller gesammelten persönlichen Daten und
    aller Geräte, Anwendungen, Netzwerke oder Dienste, die an der
    Sammlung, Übertragung, Verarbeitung und Speicherung der Daten
    beteiligt sind. Alle Behauptungen, dass Daten anonym sind, müssen
    auf Beweisen beruhen und mit ausreichenden Informationen darüber,
    wie sie anonymisiert wurden, untermauert werden. Wir können nicht
    zulassen, dass Versuche, auf diese Pandemie zu reagieren, als
    Rechtfertigung für die Gefährdung der digitalen Sicherheit der
    Menschen benutzt werden.
5.  Jeglicher Einsatz von digitalen Überwachungstechnologien zur
    Bewältigung von COVID-19, einschließlich Big Data und Systemen der
    Künstlichen Intelligenz, muss sich mit dem Risiko befassen, dass
    diese Instrumente die Diskriminierung und andere Rechtsverletzungen
    gegen Minderheiten, in Armut lebende Menschen und andere
    marginalisierte Bevölkerungsgruppen erleichtern, deren Bedürfnisse
    und Lebensrealitäten in großen Datensätzen möglicherweise verdeckt
    oder falsch dargestellt werden. Wir können nicht zulassen, dass die
    COVID-19-Pandemie die Kluft in der Wahrnehmung der Menschenrechte
    zwischen verschiedenen Gruppen der Gesellschaft weiter vergrößert.
6.  Wenn Regierungen mit anderen öffentlichen oder privaten
    Einrichtungen Vereinbarungen über die gemeinsame Nutzung von Daten
    treffen, müssen diese auf einer Rechtsvorschrift beruhen, und die
    Existenz dieser Vereinbarungen und die zur Beurteilung ihrer
    Auswirkungen auf die Privatsphäre und die Menschenrechte
    erforderlichen Informationen müssen öffentlich bekannt gegeben
    werden – schriftlich, mit Verfallsklauseln, öffentlicher Aufsicht
    und anderen Schutzmaßnahmen als Vorgabe. Unternehmen, die an den
    Anstrengungen der Regierungen zur Bekämpfung von COVID-19 beteiligt
    sind, müssen mit der erforderlichen Sorgfalt sicherstellen, dass die
    Menschenrechte respektiert werden und jede Intervention von anderen
    geschäftlichen und kommerziellen Interessen abgewehrt wird. Wir
    können nicht zulassen, dass die COVID-19-Pandemie als Vorwand dafür
    dient, die Menschen im Dunkeln zu lassen, welche Informationen ihre
    Regierungen sammeln und an Dritte weitergeben.
7.  Jede Reaktion muss eine Rechenschaftspflicht und Schutzmaßnahmen
    gegen Missbrauch beinhalten. Verstärkte Überwachung im Zusammenhang
    mit COVID-19 darf nicht in den Bereich der Sicherheits- oder
    Geheimdienstbehörden fallen und muss einer wirksamen Aufsicht durch
    geeignete unabhängige Gremien unterliegen. Darüber hinaus müssen
    auch Einzelpersonen die Möglichkeit erhalten, von allen Maßnahmen,
    mit denen Daten im Zusammenhang mit COVID-19 gesammelt, aggregiert,
    gespeichert oder genutzt werden, zu erfahren und diese anzufechten.
    Personen, die einer Überwachung unterzogen wurden, müssen Zugang zu
    wirksamen Rechtsmitteln haben.
8.  Reaktionen auf COVID-19, bei denen Daten erhoben werden, sollten
    Mittel für eine freie, aktive und sinnvolle Beteiligung relevanter
    Interessengruppen, insbesondere von Experten des Gesundheitswesens
    und der am stärksten marginalisierten Bevölkerungsgruppen, vorsehen.

[Alle
Unterzeichner](https://www.hrw.org/news/2020/04/02/joint-civil-society-statement-states-use-digital-surveillance-technologies-fight)
dieser gemeinsamen Erklärung.