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author46halbe <46halbe@berlin.ccc.de>2011-04-25 23:49:44 +0000
committer46halbe <46halbe@berlin.ccc.de>2020-05-23 13:39:00 +0000
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@@ -0,0 +1,273 @@
1title: FAQ Kulturwertmark
2date: 2011-04-25 23:25:00
3updated: 2011-04-25 23:49:44
4author: presse
5tags: kulturwertmark
6
7**Was ist denn daran besser als eine Kulturflatrate?**\
8\
9Bei einer Kulturflatrate entscheidet eine zentrale Organisation – wie
10etwa die GEMA – über die Verteilung der Gelder. Diese Entscheidungen
11stimmen erfahrungsgemäß weder mit den Vorlieben der Zahlungspflichtigen
12überein noch unterstützen sie eine gesellschaftlich sinnvolle
13Kulturentwicklung. Die Alternative – eine Komplettüberwachung des Netzes
14zur Downloadzahlenermittlung – ist noch weniger wünschenswert.\
15\
16**Von wem wird das Geld eingesammelt?**\
17\
18Die langfristige Idee ist, daß alle steuerpflichtigen Bürger zum System
19beitragen und daran teilnehmen können. Da anfangs die technische
20Ausgestaltung des Systems eher online-lastig sein wird und Netznutzer
21einerseits auch am meisten Filesharing betreiben und andererseits am
22stärksten von einer digitalen Allmende profitieren werden, ist eine
23Erhebung auf der Basis eines Zuschlags zu Internetzugängen denkbar. Dies
24wird allerdings mehr Bürokratie auf der Erhebungsseite erzeugen, da etwa
25Personen mit mehreren Internetzugängen nicht mehrmals zur Kasse gebeten
26werden sollen.\
27\
28**In welcher Organisationsform sollte das Kulturwertmark-System
29realisiert werden?**\
30\
31Wir schlagen vor, das System als eine vom Staat initial finanzierte,
32aber vollständig unabhängige Stiftung zu realisieren, die von den
33Ländern Hilfe beim Erheben der Beiträge erhält (oder alternativ mit den
34ISPs Verträge über Einzug und Weiterleitung abschließt). Die Besetzung
35des Exekutivgremiums der Stiftung sollte hälftig per allgemeiner Wahl
36unter den Teilnehmern und Künstlern erfolgen, so daß die Interessen
37beider Seiten adäquat repräsentiert sind. Stimmberechtigt ist, wer
38mindestens für eine festzulegende Zeit (etwa drei Monate) in das System
39eingezahlt hat. Wenn die Anzahl der Benutzer um eine signifikante Zahl
40gestiegen ist, sind Neuwahlen durchzuführen. Eine Besetzung analog der
41Quotenregelung wie bei den Rundfunkräten hat sich nicht bewährt und ist
42undemokratisch.\
43\
44Stiftungsposten sollten zeitlich beschränkt werden. Das Budget der
45Stiftung soll schmal gehalten und auf die technische Durchführung
46ausgerichtet sein. Der Verwaltungs-Overhead sollte aus den Zinsgewinnen
47des Stiftungsvermögens gedeckt werden, so daß eine hundertprozentige
48Auszahlungsquote der erhobenen Beiträge an die Künster erreicht wird und
49keine Transaktionsgebühren erhoben werden müssen. Eine
50privatwirtschaftliche Lösung ist nicht erstrebenswert,
51Interessenskonflikte wären hier vorprogramiert, die Auszahlungsquote
52sänke.\
53\
54Die Entwicklung der nötigen Software muß als Open Source auf der Basis
55offener Standards erfolgen und von der Stiftung finanziert werden. Etwa
56notwendige Patente sind aus dem Stiftungsvermögen anzukaufen. Die
57Stiftung muß finanziell so ausgestattet werden, daß sie den
58fortlaufenden Betrieb inklusive aller notwendigen Organe (wie
59Schiedsgerichte, Softwareentwicklung, technischer Betrieb etc.) aus den
60Stiftungserträgen bestreiten kann.\
61\
62**Wer legt die Höhe des Betrages fest?**\
63\
64Die Höhe des monatlichen Betrages hängt von der Bedeutung ab, die wir
65als Gesellschaft Kunst und Kultur zugestehen. Mit den derzeit über 25
66Millionen Internetanschlüssen in Deutschland wären mit fünf Euro pro
67Monat potentiell über 1.500 Millionen Euro pro Jahr an verteilbarem Geld
68verfügbar. Die Höhe des monatlichen Beitrags sollte durch das
69demokratisch gewählte Stiftungskomitee festgelegt oder per Abstimmung
70ermittelt werden.\
71\
72**Ist das nicht sozial ungerecht? Was ist, wenn ich mehr Punkte erwerben
73will?**\
74\
75Die Frage ist hier, welches Ziel mit dem
76[Kulturwertmark-System](http://ccc.de/de/updates/2011/kulturwertmark)
77erreicht werden soll. Bisher ist der Zugang zu Werken der Kunst nur
78selten kostenfrei möglich und benachteiligt daher finanziell Schwächere.
79Ausgeglichen wird das durch die Kulturförderung, subventionierte Tickets
80und andere Maßnahmen. Eine Staffelung des Beitrags zum System der
81Kulturwertmark nach Einkommen wäre sicher denkbar, würde aber die
82Bürokratiekosten erhöhen. Wir schlagen daher vor, daß der Beitrag für
83alle gleich ist, es jedoch jedem freisteht, mehr Kulturwertmark zu
84erwerben, und die Kosten bis zu einer gewissen Höhe steuerlich
85abzusetzen. Dadurch wird ein niedrigschwelliger Anreiz erzeugt, mehr
86Geld für Kunst und Kultur auszugeben.\
87\
88**Wie funktioniert die Registrierung der Werke?**\
89\
90Der Künstler (oder der von ihm beauftragte Verwerter) reichen in einem
91Online-Verfahren das Werk zur Registrierung ein. Dabei muß glaubhaft
92versichert werden, daß das Werk eigenschöpferisch vom Künstler erstellt
93wurde und er die Urheberrechte besitzt. Das Werk bekommt eine eindeutige
94Bezeichnung und eine Kulturwertmark-ID, die für die weitere Abrechnung
95benötigt wird. Von jedem Werk ist bei Einreichung eine digitale Kopie
96bei der Stiftung in einem unverschlüsselten, DRM-freien Format
97entsprechend den Vorgaben der Satzung zu hinterlegen, um bei Erreichen
98des Auszahlungsziels einen Übergang in die digitale Allmende ohne Verzug
99oder Streitigkeiten zu erreichen.\
100\
101**Wird es Einreichungsbetrug geben? Wie wird damit umgegangen?**\
102\
103Betrug, etwa durch Einreichung von fremden Werken unter eigenem Namen,
104wird natürlich vorkommen, allerdings auch verfolgt und bestraft. Die
105Stiftung hat für effektive Stichproben ein gewisses Budget sowie ein
106niedrigschwelliges Meldesystem bereitzustellen. Der Künstler bzw. der
107von ihm beauftragte Verwerter begeben sich mit der Einreichung in eine
108zivil- und strafrechtliche Verantwortung, ähnlich wie es bereits heute
109bei Verlagen der Fall ist. Plagiatoren und Einreicher fremder Werke
110werden öffentlich benannt, strafrechtlich verfolgt und von der weiteren
111Teilnahme am System ausgeschlossen. Die Einkünfte aus dem System sind
112normal steuerpflichtig, so daß es keine Anreize für Betrug über
113zugekaufte
114[Kulturwertmark](http://ccc.de/de/updates/2011/kulturwertmark) gibt.\
115\
116**Ist das Micropayment sicher?**\
117\
118Als technische Basis kann das ehemals als DigiCash bekannte, auf
119sogenannten Blind Signatures beruhende System dienen, dessen
120Basispatente 2005 ausgelaufen sind. Die Kryptographie für anonymes,
121kryptographisch gesichertes Micropayment ist hinreichend gut erforscht
122und bei entsprechender öffentlicher, einsehbarer Umsetzung auch
123hinreichend sicher zu implementieren. Da die Beträge pro Nutzer sehr
124klein sind, kann ein entsprechend niederschwelliges, unkompliziertes
125Verfahren gewählt werden, daß primär gegen massenweise automatische
126Transaktionsauslösung etwa durch Trojaner gesichert werden muß. Ziel
127sollte eine auch von anderen Ländern wiederverwendbare Lösung sein, die
128als öffentlicher Referenzstandard mit freier Software realisiert wird.\
129**\
130Wie wird der Schwellwert für den Übergang in den Allgemeinbesitz
131festgelegt?**\
132\
133Hier gibt es zwei grundlegende Möglichkeiten. Die erste ist eine
134generelle Festlegung etwa je nach Umfang des Werks, seiner
135Schöpfungshöhe und dem zur Erstellung nötigen Aufwand. Die zweite ist,
136den Künstler die Höhe selbst festlegen zu lassen. In der Praxis wird
137vermutlich ein kombiniertes System von Orientierungswerten und
138Maximalkappungsgrenzen zur Anwendung kommen, bei der die Stiftung
139Empfehlungen ausspricht, denen der Künstler dann folgen kann oder nicht.
140Wichtig ist hier, daß das Ziel der Schaffung einer digitalen Allmende
141nicht durch unrealistisch hohe Schwellwerte unterminiert wird. Hier hat
142die Stiftung steuernd einzuwirken.\
143\
144Wünschenswert ist zusätzlich ein automatischer, zeitlicher Schwellwert,
145der noch unterhalb der dann reduzierten Urheberrechtsschutzfristen
146liegt. Beispielsweise geht nach fünf Jahren automatisch jedes Werk in
147die Allmende über, unabhängig von den bis dahin aufgelaufenen Zahlungen.
148Die Möglichkeit, weiter Einnahmen zu generieren, besteht auch nach dem
149Übergang des Werkes in die Allmende.\
150\
151**Wer verwaltet und erhält die Werke im Allgemeinbesitz?**\
152\
153Die Werke im Allgemeinbesitz müssen jederzeit für alle frei in digitaler
154Form zugänglich sein. Wenn die Deutsche Zentralbibliothek sich in der
155Lage sieht, diese Anforderung zu erfüllen, wäre sie sicher eine
156geeignete Institution. Prinzipiell ist mit dem Übergang in den
157Allgemeinbesitz eine Verantwortung der Allgemeinheit zum Erhalt und
158Zugänglichhaltung der Werke verbunden, für die entsprechende
159Voraussetzungen geschaffen werden müssen. Physische Werke (Plastiken,
160Bilder etc.) kommen in einen Kunstwerke-Pool, aus dem sich die deutschen
161Museen für Ausstellungen bedienen können. Werke, die den monetären
162Schwellwert für den Übergang in die Allmende nicht erreichen, können
163auch in rein digitaler Form archiviert und ansonsten im physischen
164Besitz des Künstlers belassen werden.\
165\
166**Muß für die Verteilung der nicht vergebenen Punkte nicht ein irrer
167Aufwand getrieben werden?**\
168\
169Nein. Es werden einfach zum Ende jedes Quartals die abgelaufenen Punkte
170aufsummiert und ins Verhältnis zu allen im Quartal vergebenen Punkten
171gesetzt. Konkret würde beispielsweise ein Künstler, der in einem Quartal
17218% der verteilten Punkte bekommen hat, darüber hinaus 18% der ansonsten
173verfallenden Punkte dieses Quartals dazubekommen. Das Verfallsprinzip
174ist notwendig, um einen hohen Anreiz zur aktiven Nutzung des Systems zu
175schaffen und den "garantierter Mindestumsatz"-Effekt zu erzielen. Nur in
176dem seltenen Fall, daß kein einziger Punkt an einen Künstler verteilt
177wurde, wird auch kein Mindestumsatz erreicht.\
178\
179**Welche Änderungen am Urheberrecht soll es konkret als Gegenleistung
180geben?**\
181\
182Die konkrete Formulierung der notwendigen Änderungen am Urheberrecht
183bedarf aufgrund der Komplexität der existierenden Gesetze einiger
184Arbeit. Klar ist aber, daß für die durch das Kulturwertmark-System
185entstehende de-facto-Umsatzgarantie für schöpferische Tätigkeit im
186Gegenzug deutliche Abstriche an den derzeit bestehenden restriktiven
187Regelungen erfolgen müssen. Erforderlich sind mindestens:\
188\
1891. Deutliche Verkürzung der Schutzfristen,\
1902. Beschränkung der straf- und zivilrechtlichen Verfolgung von
191Filesharing und privaten Kopien auf kommerzielle Verstöße, also solche,
192die zum Zwecke der profitorientierten Gewinnerzielung erfolgen,\
1933. Änderung der verwerterorientierten Prämissen des derzeitigen
194Urheberrechts hin zu einem angemessenen Ausgleich zwischen Autoren- und
195Rezipientenrechten,\
1964. Sicherstellung, daß kein Durchgriff auf deutsche User durch
197internationale Abkommen etc. passiert,\
1985. Aufnahme von Klauseln, die es Autoren erlauben, auch bestehende
199Werke, die unter restriktiven Regeln lizensiert wurden, ins System
200einzustellen.\
201\
202**Für welche Arten Kunst ist das System geeignet, für welche nicht?**\
203\
204Für jede Art von Kunst, Kultur, schöpferischer Tätigkeit, die einen
205Werkcharakter hat, ist das System geeignet. Auch Ölgemälde können
206beispielsweise so in den Besitz der Allgemeinheit übergehen. Das
207Original geht dann auf Wanderschaft durch die staatlichen Museen, die
208digitalen Bildrechte stehen allen zur Verfügung.\
209**\
210Wie läßt sich eine Ballung von Zahlungen an die üblichen
211Mainstream-Big-Names verhindern, so daß statt weniger Millionäre viel
212mehr "kleine" Künstler ein Auskommen finden?**\
213\
214Eine Möglichkeit wäre die Aufteilung der Punkte in verschiedene
215Kategorien, so daß etwa nur zwanzig Prozent der Punkte in der Sparte
216Popmusik vergeben werden können. Die Nebenwirkungen einer solchen
217Regelung, inklusive der Entscheidung, wer die Anteile und die Kategorien
218festlegt und nach welchen Kriterien, müssen jedoch sorgfältig durchdacht
219werden. Eine womöglich technisch einfachere Lösung ist eine generelle
220Kappungsgrenze pro Werk oder pro Künstler.\
221\
222**Was ist mit internationalen Werken?**\
223\
224Jeder Anbieter kann dem jeweiligen System eines Landes (also auch
225mehreren gleichzeitig) beitreten. Die Konsequenzen des Beitritts sind
226für jeden Anbieter in dem gewählten Land gleich. Später wäre auch eine
227Zusammenfassung der nationalen Systeme zu einem größeren Ganzen
228denkbar.\
229\
230**Was wird die Rolle der Verwerter und Verlage in diesem System?**\
231\
232Die Verwerter und Verlage können sich wie bisher in der Vermarktung der
233Werke engagieren. Das umfaßt die öffentliche Aufführung,
234Datenträger-Distribution, Cover Art und Preview. Auch das Management der
235Künstler wird nach wie vor eine  Aufgabe der Verwerter sein.\
236\
237**Enden die Zahlungen an den Künstler irgendwann?**\
238\
239Nein. Auch nach Erreichen des Auszahlungs- bzw. Zeitziels und des
240Übergangs in die digitale Allmende bleibt es möglich, Zahlungen für ein
241bestimmtes Werk zu leisten, die dann an den Künstler ausgeschüttet
242werden. Die Verweildauer eines Werks im System ist prinzipiell
243unbegrenzt, um etwa auch "Spätzünderwerke" zu unterstützen, bei denen
244erst viele Jahre nach ihrer Schöpfung eine öffentliche Wertschätzung
245einsetzt.\
246\
247**Ist das nicht das Gleiche wie Flattr?**\
248\
249Seitdem wir angefangen haben, das Kulturwertmark-Modell zu diskutieren,
250sind einige der ehemaligen Betreiber des größten Bittorrent-Trackers The
251Pirate Bay auf ähnliche Gedanken gekommen. Ihr Konzept Flattr beruht auf
252einer freiwilligen monatlichen Spende und einer anteiligen Ausschüttung,
253je nachdem wievielen verschiedenen Künstlern man Geld im
254Abrechnungszeitraum zukommen lassen will. Ein weiterer wesentlicher
255Unterschied ist, daß bei Flattr der gesamte Aspekt der Rechte am Werk
256ausgeklammert wird. Man gibt nur Geld an den Künstler, ohne daß sich
257dadurch die Verwertungsrechte verändern oder eine digitale Allmende
258gebildet wird. Es gibt auch kein Konzept einer Gegenleistung der
259Contentindustrie in Form eines entschärften Urheberrechts. Von Flattr
260läßt sich aber viel über akzeptierte und genutzte Formen des Ausgebens
261von [Kulturwertmark](http://ccc.de/de/updates/2011/kulturwertmark)
262lernen. Und nicht zuletzt: In Deutschland hat sich Flattr als am
263erfolgreichsten  erwiesen, es gibt hier offenbar viel Akzeptanz für
264derartige Modelle.\
265\
266**Funktioniert das auch für meine Podcasts? Oder meinen Online-Roman,
267den niemand drucken wollte?**\
268\
269Ja. Prinzipiell kann jedes schöpferische Werk ins System eingestellt
270werden. Auch ist vorstellbar, jeden Monat ein feste Zahl der
271Kulturwertmark, ähnlich wie ein Abonnement, an einen Künstler oder
272Journalisten zu vergeben, die dafür ihre regelmäßig produzierten Inhalte
273ins System einstellen.